Auferstehung der Toten
Chefs, das ist der Firmengründer gewesen. Der hat 1910 in Amerika die Leuchtziffern erfunden. Er hieß Parson, und die Firma hieß Parson Radium, und die Leuchtfarbe, die ihn dann unbeschreiblich reich machte, hieß .»
«Warum so weitschweifig?» hat sich der rote Kugelschreiber der Lehrerin Engljähringer gefragt, aber der Brenner hat sich jetzt nicht mehr ablenken lassen:
«Bald hatte der alte Parson 200 Leuchtziffernmalerinnen angestellt. Das war ungefähr 1915. Vor allem junge Frauen. Sie mußten ihre Pinsel immer ablecken, damit sie spitz genug wurden für die winzigen Uhrenziffern. Manchmal machten sich die Malerinnen den Spaß, ihre Fingernägel oder
Zähne
zu bemalen, weil sie dann im Dunkeln leuchteten. Leider sind sie dann der Reihe nach gestorben. Also hat es eine Untersuchung gegeben.»
Das ist jetzt die Stelle gewesen, wo das Telefon beim Brenner geläutet hat, in seinem Hotelzimmer, das muß so um zwei Uhr am Nachmittag gewesen sein. Aber er ist nicht hingegangen. Aber dann hat es nicht zu läuten aufgehört, und dann ist er doch hingegangen.
«Brenner.»
Aber genau in dem Moment hat der Anrufer schon aufgelegt gehabt.
«Trottl», hat der Brenner gebrummt, dann ist er schon wieder über dem Schulheft gesessen.
Zuerst hat er nicht gleich die richtige Stelle gefunden, und da hat er ein Stück zu weit unten weitergelesen. Und da hat er gelesen, daß man die Ergebnisse der Untersuchung geheimgehalten hat. Er hat aber jetzt nicht gewußt, von was für einem Ergebnis da die Rede ist, weil das ist ja in dem Absatz gestanden, den er ausgelassen hat. Aber natürlich ist er jetzt neugierig gewesen und hat oben weitergelesen:
«Also hat es eine Untersuchung gegeben. Die Untersuchung war geheim. Die Ärzte beobachteten die Arbeiterinnen in einem dunklen Raum. Da haben die Haare, Gesichter, Hände, Arme, Hälse, die Kleider und die Wäsche der Ziffernmalerinnen im Dunkeln geleuchtet. Sogar der Atem der Malerinnen leuchtete im Dunkeln.»
Jetzt ist der Brenner wieder zu der Stelle von vorher gekommen. Da fällt ihm auf, daß auf der zweiten Seite fast keine Korrektur mehr, ist.
Da hat es natürlich zwei Möglichkeiten gegeben. Entweder ist die Engljähringer genauso interessiert an der Geschichte gewesen wie er selbst und hat beim Lesen völlig das Korrigieren vergessen. Oder es ist an der Stelle schon festgestanden, daß für die Clare diesmal nur ein Fünfer herausschaut, und die Engljähringer hat sich gedacht, Thema verfehlt, und wieso soll ich da noch lang herumkorrigieren.
«Parson hielt das Ergebnis der Untersuchung geheim. Die Arbeitsbedingungen für die Malerinnen blieben noch Jahre lang gleich. Bis es so viele Opfer gab, daß Parson vor Gericht mußte. Aber er wurde freigesprochen. Das war wegen der falschen Gesundheit der Opfer. Am Beginn der Verseuchung fühlte das Opfer sich nämlich besonders wohl. Das ist so, weil der Körper zur Abwehr besonders viele Blutkörperchen produziert. Rote wahrscheinlich. Und dann hört er plötzlich ganz damit auf. Deshalb blieb die Seuche jahrelang unbemerkt. Aber laut Gesetz müssen Klagen auf Wiedergutmachung spätestens zwei Jahre nach der Verursachung einer Krankheit eingebracht werden. Und die Seuche ist ja von viel früher ausgelöst worden. Zum Beispiel am 16. November 1922 ging eine der Malerinnen in die Arbeit zur Leuchtziffernfabrik. Sie fühlte sich völlig gesund. Ihre Knochen waren aber schon so morsch, daß ein Bein im Gehen brach. Eine Woche später ist sie gestorben, da war sie 27 Jahre alt. Sie hieß Clare Corrigan.»
Jetzt aber. Die Lehrerin hat es endgültig aufgegeben, daß sie da noch viel korrigiert. Die hat die letzten zwei Seiten einfach, ratsch, verstehst du, von oben bis unten, also Diagonale, durchgestrichen. Das sind die Seiten gewesen, auf denen die Clare beschrieben hat, wie es mit der Firmengeschichte dann weitergegangen ist.
Zuerst einmal hat Parson eine ungefährliche Leuchtziffernherstellung entwickelt, dann Zweiter Weltkrieg, da hat er den Amerikanern für ihre Flugzeuge leuchtende Armaturen verkauft. Das ist natürlich ein Riesending gewesen, weil sonst hat das keiner liefern können. Millionen, ja, was glaubst du.
Und nach dem Krieg sofort umgesattelt, mehr auf Bauchemie, praktisch Baumaterialien. Weil die haben sich gedacht, nach dem Krieg, da bauen die Leute, und da haben sie sich auf hochwertige Betonmischungen spezialisiert.
Jetzt der Brenner ein Aha-Erlebnis. Weil was braucht man für eine
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