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Auferstehung der Toten

Auferstehung der Toten

Titel: Auferstehung der Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Haas
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Der Brenner ist so ein Mensch gewesen – wie soll ich dir das erklären. Der Auftrag in Zell hat ihm geholfen, daß er nicht zuviel nachdenken muß. Weil du darfst nicht vergessen, der hat erst vor gut einem halben Jahr bei der Kripo aufgehört, und das ist eine Situation, mit der mußt du erst einmal fertig werden.
    Und da haben ihm die Monate in Zell natürlich geholfen, der Zufall, daß er da gleich eine Arbeit hat. Aber das hat nicht ewig so gehen können, und jetzt ist es vorbei gewesen.
    Und wie soll ich sagen, vielleicht hat auch die Geschichte mit dem Nemec eine Rolle gespielt, daß er jetzt gar so niedergeschlagen gewesen ist. Daß nicht er den Fall gelöst hat, sondern der Nemec. Also im Grunde genommen: ein halbes Jahr umsonst.
    Macht nichts. Das Teppichmuster, das sind so Blumenmotive gewesen, aber mehr wie Zahnräder, also wenn du dir vorstellst: ineinandergreifende Blumen. Und wenn man sie lang genug angeschaut hat, hat man geglaubt, sie drehen sich.
    Oder vielleicht ist er auch so deprimiert gewesen, weil es doch eine menschliche Tragödie ist. Und auf einmal ist es ihm zu Bewußtsein gekommen. Der Lorenz. Der Vergolder. Daß man sich wundert, wieso jetzt auf einmal, wieso wird ihm das nicht schon früher bewußt. Aber so ist der Mensch, auf einmal wird es dir bewußt, und du weißt selber nicht wieso.
    Vor ein paar Tagen hat er sich noch stundenlang mit dem Lorenz und mit dem Vergolder unterhalten. Und jetzt ist nicht einmal mehr so viel von ihnen übrig, daß man sie ordentlich eingraben kann.
    Der Teppich hat eine Farbe gehabt, die kann man fast nicht beschreiben, wie ein Honig, der hart geworden ist. Und die Drehblumen haben im Grunde dieselbe Farbe gehabt, bei Tageslicht hat man sie gar nicht richtig gesehen. Aber beim künstlichen Licht sind sie herausgekommen.
    Aber das ist es jetzt nicht gewesen, weil der Brenner hat gar kein Licht eingeschaltet, dazu hätte er sich ja bewegen müssen. Es hat schon gedämmert, und der Brenner hat nicht genau gewußt, ob er die Blumen noch sieht oder ob sie sich schon nur mehr in seinem Kopf drehen.
    Die ermordeten Amerikaner sind ihm durch den Kopf gegangen. Was er in dem Schulaufsatz der Clare über sie gelesen hat, es ist alles wieder aufgetaucht. Sogar die Leuchtziffernmalerinnen haben ihm jetzt leid getan, obwohl, die hätten ja sowieso heute nicht mehr gelebt. Und die Zwangsarbeiter, die beim Bau der Staumauer erfroren oder abgestürzt sind.
    Wie es eben ist, wenn du heute einen Moralischen hast, dann fällt dir alles zugleich ein, und natürlich nur das Schlimmste. Und so ist es dem Brenner jetzt gegangen, all diese Bilder sind nach und nach aufgetaucht, unendlich zäh und langsam, aber keines von ihnen ist wieder verschwunden. Und alles zusammen hat sich so langsam und so zäh gedreht, das mußt du dir vorstellen wie eine Waschmaschine, aber in der ist kein Wasser drin, sondern Honig.
    Auch die Kellnerin Erni und ihr Balkon haben sich in der Honigwaschmaschine gedreht. Und der Fux Andi hat so traurig aus der Honigwaschmaschine geschaut, daß sich der Brenner gedacht hat: Jetzt stehe ich auf und drehe das Licht auf. Weil es ist jetzt schon ganz finster gewesen. Aber der Brenner hat immer noch gesehen, wie sich die Blumen über den Boden gedreht haben. Und neben dem Fux Andi ist die handlose Deutsche in der Honigwaschmaschine gestanden und hat den Brenner durch ihre zentimeterdicken Bifokalgläser angeschaut.
    Jetzt paß auf, da ist es halb acht gewesen. Wie der Brenner dann endlich doch noch in die Gaststube vom
Hirschenwirt
hinuntergegangen ist. Aber hingesetzt hat er sich nicht. Er hat nur eine Packung Zigaretten verlangt, dann hat er sich auf die Straße hinausgestellt und seine erste Zigarette seit acht Monaten geraucht.
    Jetzt, jeder der sich mehr als einmal das Rauchen abgewöhnt hat, kennt das. Die erste hat ihm überhaupt nicht geschmeckt, eher gegraust als geschmeckt. Dann die zweite, und die dritte schmeckt dir normalerweise schon wieder wie früher. Aber dem Brenner hat jetzt die dritte immer noch nicht geschmeckt. Da hat er es aufgegeben und ist wieder in den zweiten Stock hinaufgefahren und schlafen gegangen.
    Beim Einschlafen hat er sich noch gewundert, daß die ganze Zeit, wie er die drei Zigaretten geraucht hat, kein einziger Mensch auf der Straße vorbeigekommen ist, Auto auch keines, kein gar nichts. Aber natürlich, vielleicht ist das auch schon im Schlaf gewesen, daß es ihm nur im Traum so ausgestorben vorgekommen ist.
    Wie er

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