Aufgebügelt: Roman (German Edition)
verschwinden, vom ewigen Draufstarren wird sowieso keine SMS kommen, und versuche versöhnlich zu schauen.
»Darf ich mich zu euch setzen?«, fragt da Herr Nackig, der sich immerhin zum Essen ein T-Shirt übergezogen hat. Einen Hauch von Benehmen scheint er also zu haben. Fuß-Paule. Ein Mann, der Fußpfleger ist. Eine seltsame Berufswahl. Wie kommt man bloß auf eine solche Idee? Aber freundlich ist er. Plaudert nett mit dem Vorstand und versucht, Mark und mich immer einzubeziehen. Es geht ums Gärtnern. Nicht direkt mein Lieblingsthema. Ich habe keinen grünen Daumen und kann gerade so Rasen von Unkraut unterscheiden. Deshalb nicke ich nur ab und zu und lobe den Garten der Reimers.
Der Garten scheint auch meiner Tochter und ihrem Liebsten zu gefallen. Die beiden sitzen verträumt an einen Kirschbaum gelehnt, und Gustav Johannes hat meiner Tochter seinen Pullover, der eben noch hanseatisch um seine Schultern geschlungen war, untergelegt. Das hat was Ritterliches, was mich irgendwie anrührt. An sich sollte ich mit der Wahl meiner Tochter zufrieden sein – er ist lieb zu ihr, und sie mag ihn. Was will eine Mutter mehr? Vielleicht ticken junge Leute einfach anders? Vielleicht müssen sie erst ihre spießige Seite ausleben, bevor sie wild und draufgängerisch werden können?
»Gehören die zwei Verliebten auch zu Ihnen?«, erkundigt sich Fuß-Paule.
»Das sind meine Tochter Claudia und ihr Freund«, bejahe ich die Frage.
»Hätte gar nicht gedacht, dass Sie schon so große Kinder haben!«, antwortet er, und obwohl es sicherlich nur so dahingesagt ist, freue ich mich darüber. Wahrscheinlich ist er wegen seines Berufs daran gewöhnt, Smalltalk zu machen, und da die meisten seiner Kunden mit Sicherheit Frauen sind, weiß er, was gut ankommt. Trotzdem nett von ihm. Als er aufsteht, um sich Nachtisch zu holen, fragt er, ob er mir etwas mitbringen kann. Gut, auch darauf sollte ich mir nichts einbilden – ich bin, bis auf meine Tochter, die einzige Frau hier, die unter 65 ist. Bevor ich antworten kann, tut es mein Sohn.
»Kuchen wäre super!« Seinen Giga-Grillteller hat er tatsächlich aufgegessen.
»Nicht dass dir schlecht wird«, bemerkt Fuß-Paule trocken.
»Ist doch schön, wenn er ordentlich isst!«, kommentiert Frau Reimer das Ganze. Sie setzt sich zu uns und ruft auch direkt ihren Sohn. »Basti, kümmer dich mal um deine Spezialgäste!«
Was soll denn das heißen? Spezialgäste! Hat sie Angst vor der Konkurrenz durch Fuß-Paule? Am liebsten würde ich ihr sagen, dass sie ihre Bemühungen einstellen kann, weil ihr Basti, unabhängig von der vermeintlichen Konkurrenz (einem eben noch halbnackten Fußpfleger mit Schrebergarten!) sowieso aus dem Rennen ist.
Während Paul Nachtisch holt und Bastian sich nähert, schiele ich möglichst unauffällig auf mein Handy. Immer noch nichts. Allerdings ist der Empfang hier im Schrebergarten auch eher mäßig.
»Ich muss mal ein paar Schritte gehen, bevor ich gleich noch Nachtisch esse!«, sage ich und stehe auf.
»Gute Idee!«, schließt sich mein Sohn an und Frau Reimer guckt enttäuscht. »Ich geh mal zum Klo!«, informiert mich Mark knapp.
Ich schlendere durch den Garten und habe den Empfangsbalken des Handys sehr genau im Blick. Es tut sich nicht viel. Zwei mickrige Streifen. Ich klicke auf meine SMS. Nichts. Mein Akku ist geladen – daran kann es nicht liegen. Ich schalte das Handy kurz aus und wieder an. Es funktioniert. Bei meinen Kindern fiepen die Handys alle paar Minuten. Bei mir herrscht Stille. Was für ein Arsch! Was fällt dem eigentlich ein? Aber das Spiel – falls es denn eins ist – funktioniert. Je länger ich warten muss, umso häufiger gucke ich aufs Handy. Mit der Wartezeit steigt die Wichtigkeit. Du machst dich lächerlich, Andrea, rede ich mit mir selbst. Da stehst du doch drüber. Du stellst jetzt den Ton aus und setzt dich noch ein halbes Stündchen zu den Gartenfreaks, und dann lässt du dich heimfahren, beschließe ich. Ein ausgesprochen vernünftiger Gedanke – aber ich kann nicht. Wenn ich das Handy jetzt stummschalte, dann wird er sich garantiert melden. Ich stecke es in die Tasche und schwöre mir selbst, in der nächsten halben Stunde nicht draufzuschauen. Immerhin ein kleiner Schritt. Ich gucke noch ganz schnell ein allerletztes Mal. Komisch – keine Veränderung in den vergangenen drei Sekunden. Dieser Idiot!
Bastian strahlt mich an, als ich zurück zum Tisch komme, und Fuß-Paule schiebt mir ein Stück Kuchen rüber.
»Den
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