Aufgebügelt: Roman (German Edition)
da der erste vollständige Satz meines Sohnes an diesem Nachmittag zu hören. Selbst sein Gekicher scheint ihm vergangen zu sein.
»Leck mich doch, du erbärmlicher Kifferarsch!«, kontert Claudia blitzschnell. Ihr Gustav Johannes verzieht angesichts dieser harschen Worte ein wenig das Gesicht, und der Rest der Anwesenden sieht aus wie schockgefrostet. Ich selbst eingeschlossen.
Kifferarsch? Ist das ein neues Schimpfwort unter Jugendlichen, oder meint die etwa, ihr Bruder sei ein Kiffer?
Fuß-Paule ist der Einzige, der noch recht gelassen wirkt. Er hat inzwischen ein Glas Wasser geholt und es Mark gegeben.
»Du musst was trinken, Junge!«, sagt er und reicht meinem Sohn den Plastikbecher. Herr Reimer senior starrt angewidert auf seine entweihte Princess von Kent und Frau Reimer rollt den Gartenschlauch aus.
»Bist du komplett verrückt? Lotte, sag mal!«, herrscht Herr Reimer nun seine Gattin an. »Du willst doch die Blüten von der Princess jetzt nicht etwa abbrausen? Da sind die hin!«
Ich bin total fassungslos. Ist mein Sohn ein Kiffer? Wenn er ein Kiffer wäre, hätte ich das dann nicht längst bemerkt? Woran merkt man, ob das eigene Kind kifft? Ich muss schleunigst von hier verschwinden! Muss mein Sohn jetzt in den Entzug? Kiffen nicht alle Jugendlichen?
»Kinder, ich glaube es ist Zeit zu fahren!«, versuche ich, mit möglichst fester Stimme zu sagen, und mein phlegmatischer Kotzsohn erhebt sich mühsam. Als er aufsteht, fällt ihm ein ordentlicher Brocken Kotze vom T-Shirt. Selbst in den Haaren hängt was. Lecker, wirklich lecker.
»Das ist alles sooo megapeinlich! Ich hasse euch. Womit habe ich so eine Familie verdient?«, schluchzt nun meine Tochter los, und würde irgendeiner der Anwesenden ihr anbieten, sie zu adoptieren, wäre sie weg.
Ehrlich gesagt, ist das jetzt so ein Moment, wo ich am liebsten auch mit allem gar nichts zu tun hätte und stattdessen wie der Rest der Leute einfach nur betreten gucken, die Augenbrauen hochziehen und ein wenig entsetzt dabeistehen möchte.
»Es tut mir alles sehr leid«, entschuldige ich mich bei den Reimers, »ich kenne mich mit dem Putzen eigentlich aus, aber wie man jetzt so Rosen sauber kriegt, also da habe ich leider keine Ahnung. Aber wenn ich was machen kann, sagen Sie es!«
Herr Reimer Senior schaut mich an. Mit einem Blick, als hätte ich seine Princess höchstpersönlich rausgerissen und zertreten. Er sieht aus, als würde er jeden Moment zu weinen anfangen.
»Der nächste Regen wird es richten!«, springt Fuß-Paule in die Bresche. »Das sieht jetzt nicht schön aus, macht der Rose aber nix. Keine Sorge, ist ja sogar ’ne Art natürlicher Dünger.«
Das war nett von ihm und hat die Dimensionen auch wieder ein bisschen zurechtgerückt. Schließlich hat mein Sohn kein Tier gequält, sondern nur in einen Rosenbusch gekotzt. Das ist sicherlich nicht schön, aber auch nicht so dramatisch.
»Wie wollt ihr denn heimkommen? Ihr habt doch gar kein Auto dabei«, findet nun auch Bastian seine Sprache wieder.
Richtig, er hatte uns ja abgeholt. Und jetzt? Ob der nach dem Auftritt noch Lust hat, uns nach Hause zu fahren, halte ich für mehr als zweifelhaft.
»Ich lasse meine Eltern jetzt nur ungern allein, nach allem, was passiert ist«, fügt er noch hinzu.
Mir ist diese Sache wirklich peinlich, aber so langsam nimmt das hier Formen an, die ich, ehrlich gesagt, ein bisschen lächerlich finde: Ich lasse meine Eltern jetzt nur ungern allein, nach allem, was passiert ist! Das, was hier passiert ist, ist kein Todesfall, kein schrecklicher Unfall, sondern die leichte Verschmutzung eines Rosenstrauchs. Bei all seiner sonst so uneingeschränkten Nettigkeit – das ist nicht nett von Bastian und zeigt deutlich seine Prioritäten.
»Ich kann Sie und die Kinder fahren«, bietet mir da Fuß-Paule an. »Das ist lieb«, antworte ich, »aber eine appetitliche Fuhre sind wir heute leider nicht. Ich kann auch ein Taxi rufen!«
»Kein Problem. Ich bin durch meinen Beruf einiges gewöhnt«, sagt Paul, »und außerdem, ich wollte ja eh jetzt los.«
Der Abschied von den Reimers und dem Rest der Anwesenden ist um einiges weniger herzlich als die Begrüßung. Bastian macht keinerlei Anstalten, in einen Wettstreit mit Paul wegen des Heimfahrens zu treten. Ich glaube, der ist raus aus dem Rennen. Dabei habe ja nicht ich kotzend in den Büschen gehangen, sondern nur mein Sohn.
Auf dem Weg zum Auto versucht mir Fuß-Paule diese große Bestürzung der Reimers zu
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