Aufgebügelt: Roman (German Edition)
meine Tochter da nicht, aber gerade bin ich sehr froh darüber.
Was nun? Zu Hause anrufen und ein komplettes Geständnis ablegen? Drei Nachrichten sind eingegangen und sechs Anrufe in Abwesenheit. Alle von meinem Handy. Immerhin – das hat sie gefunden.
Mama, wo ist mein Handy? , lautet Nachricht eins. Nummer zwei klingt schon panischer: Ich werde verrückt. Wo ist mein Handy? Was soll ich ohne machen? Hier ist nur deins, und da sind komische Nachrichten! Melde dich! Mein Code ist 1234!
Eine wirklich unglaublich kluge Nachricht, die mich kurz am Verstand meiner Tochter zweifeln lässt: Sie schickt mir ihren Code auf ihr Handy, auf dem ich ja wohl kaum Nachrichten lesen kann, wenn ich den Code nicht habe.
Nachricht Nummer drei lautet: Habe Sabine angerufen, und die hat gesagt, ihr würdet euch erst im Wellnesshotel treffen. Opa hat gesagt, du holst sie ab. Ich verstehe das alles nicht! Wo bist du, was machst du? Melde dich, und guck ja nicht meine Nachrichten an! Ich brauche mein Handy. Sofort!
Ich soll ja nicht ihre Nachrichten angucken – das ist ja auch wieder sehr klug! Wofür schickt sie mir dann welche? Tja, das mit dem Sofortbrauchen muss bis übermorgen warten. Oder ich lasse es hier am Flughafen, deponiere es irgendwo, und sie kann es abholen. Einerseits wäre das sehr nett von mir, andererseits ausgesprochen verräterisch. Schließlich fliege ich ja nicht mit Sabine in die Wellnessferien, sondern fahre mit dem Auto – wie also sollte das Handy hierhergekommen sein? Außerdem hätte ich ja dann in Venedig kein Handy. Natürlich könnte ich das Handy auch einem Taxifahrer in die Hand drücken und ihn als Handyüberbringer nutzen. Was für ein fieses Kuddelmuddel.
Nur, ohne Handy will ich die nächsten Tage nicht sein, und deshalb reagiere ich einfach mal überhaupt nicht. Claudia wird es schon überleben. Es wird eine überaus lehrreiche Erfahrung sein. Das könnte man natürlich auch umgekehrt für mich behaupten, aber sie ist jünger, und ich bin im Ausland und dort vielleicht mal aufs Handy angewiesen. Bei älteren Menschen kann es eher zu medizinischen Notfällen kommen. Egal wie ich es drehe und wende – ich habe ein latent schlechtes Gewissen. Claudia wird durchdrehen. Ohne ihren Gustav Johannes und mit quasi durchtrennter Nabelschnur. Wie soll er sie so erreichen? Wie Kontakt aufnehmen? Ich bin nicht mal sicher, ob er unsere Festnetznummer kennt. Aber sie mit Sicherheit seine. Und man kann es ja auch wie in meiner Jugend machen und einfach mit dem Rad beim Freund vorbeifahren. Egal – ich kann mich jetzt nicht mehr darum kümmern.
Es ist Zeit, sich am Treffpunkt einzufinden. Ich merke, wie mir grauenvoll heiß wird. Ich fange an zu schwitzen. Was ist das? Mir wird plötzlich irre warm. Als hätte jemand meine Schweißdrüsen, wie Düsen im Whirlpool, alle auf einmal aufgedreht. Volle Pulle. Mein Nacken ist klatschnass, fast als hätte ich gebadet. Ist das eine dieser berüchtigten Hitzewallungen? Eine Wechseljahrserscheinung? Bisher habe ich nur ab und an nachts geschwitzt. Wie herzlos sind diese Wechseljahre nur? Müssen sie ausgerechnet jetzt in die Offensive gehen? Meine mühsam aufgefönten Haare, eh nur mit viel Stylingprodukt einigermaßen vorzeigbar, fallen langsam in sich zusammen. Was für ein Timing! Ich brauche dringend Taschentücher. Eigentlich eher Handtücher. Also nichts wie zur Toilette und sehen, ob es noch Rettung gibt.
Es ist 7:35 Uhr – mir bleiben genau noch zehn Minuten. Zehn Minuten, um mich einmal komplett trockenzulegen. Was für eine Bescherung! Mir läuft der Schweiß in Strömen den Rücken runter, mein Körper verlangt nach einer erfrischenden Dusche und mein Kopf ist mit Sicherheit puterrot. Ich sehe bestimmt umwerfend aus! Immerhin, das akute Schwitzen scheint aufgehört zu haben. Es war wie ein Flash.
Ich habe fast die Toiletten erreicht, als mich eine Stimme aufschreckt: »Halt, Sie haben nicht bezahlt! Stehenbleiben!«
Alles guckt, ich auch. Schnell wird mir klar, wenn die Stimme meint – mich. Es ist die Bedienung aus dem Café, in dem ich bis eben noch gesessen habe. In all der Schweißhektik habe ich glatt vergessen zu bezahlen. Peinlich! Ich entschuldige mich, zücke sofort mein Portemonnaie und gebe fünf Euro Trinkgeld als Wiedergutmachung – und das bei einem Cappuccinopreis von fünf Euro! Fünf Euro für einen Cappuccino! Ich sollte ein Flughafencafé eröffnen. Zum Glück ist die Bedienung zufrieden und glaubt mir, dass es keine Absicht
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