Aufgedirndlt
Begriffe »Tourist« und »Terrorist« sich nur durch wenige Buchstaben voneinander unterscheiden. Und doch lässt der Bayer in einer Situation Fünfe gerade sein: wenn es um die Monarchie geht. Denn das Königliche ist etwas, das über der Religion und sogar über dem Makel des Fremdseins thront.
Dass dies eine unumstößliche Wahrheit ist, davon konnte sich jeder überzeugen, der sich in diesem ereignisreichen Sommer rund zwei Wochen vor dem großen Seefest in der Nähe des Hotels mit dem Schlösschen aufhielt: Einen vergleichbaren Menschenauflauf, verursacht durch die Ankunft wichtiger Persönlichkeiten, hatte es an dem Bergsee seit 1822 nicht mehr gegeben, als König Max I. Joseph Zar Alexander I. von Russland und Kaiser Franz I. von Österreich empfangen hatte.
Nicht nur die örtlichen Alphornbläser und Goaßlschnalzer hatten vor dem Hotel, in dem der Emir plante seinen Sommer zu verbringen, Position bezogen, sondern auch der Bürgermeister samt komplettem Gemeinderat, die amtierende bayerische Bierkönigin, der berühmte Schlagersänger Johann »Hanni« Hirlwimmer, der aus der Region stammende Gleitschirmweltmeister Heribert Kohlhammer und nicht zuletzt die hohen Tiere der bayerischen Politik und Verwaltung: der bayerische Ministerpräsident, der Polizeipräsident von Oberbayern sowie ein allseits bekannter Minister, der als bissiger Rhetoriker galt und den sein überdimensionales Selbstbewusstsein dazu zwang, jede Gelegenheit wahrzunehmen, seine Weltwichtigkeit zur Schau zu stellen.
Auch der Leiter der Polizeidienststelle des Tals, Kurt Nonnenmacher, konnte an diesem Tag dem Besuch des Emirs etwas abgewinnen, stand er doch inmitten all der wichtigen Honoratioren und zudem nur wenige Meter von der Bierkönigin entfernt, deren Brüste sich gesund und drall aus dem offenherzigen Dekolleté in die Sonne reckten.
Der ganze Weg vom See unten bis hinauf zum Hotel war gesäumt von Bürgern des Tals, die zum großen Teil in Tracht erschienen waren. Anne Loop und Sepp Kastner hatten sich vor dem Hotelgebäude postiert, in dem die Tagungsräume und der Spa-Bereich untergebracht waren. Von dieser leicht erhöhten Stelle aus hielten sie Blickkontakt mit ihren Kollegen, von denen zwei an der Einfahrt zum Hotelgelände, zwei bei den Honoratioren und zwei unten am kleinen Barockschlösschen Wache schoben. Weitere Polizeibeamte sicherten den Weg, auf dem der Scheich und sein Gefolge kommen würden, zwei hatten sich zudem im Wald oberhalb des Hotelkomplexes verschanzt. Man konnte nie wissen.
Die Uhr der Klosterkirche hatte gerade elf geschlagen. Der Scheich, der aus München anreiste, müsste also jeden Augenblick da sein. Leises Gemurmel stieg von der Menge auf, und die aufgeregten Blasmusiker durchpusteten zum hundertsten Mal ihre Instrumente, was Nonnenmacher kurz an seinen letzten Besuch des Elefantenhauses im Münchner Tierpark erinnerte. Doch er erlaubte seinen Gedanken nur kurz abzuschweifen, was auch notwendig war, denn der Polizeipräsident von Oberbayern hatte ihm gerade etwas ins Ohr geflüstert.
»Was?«, fragte Nonnenmacher und erntete prompt einen empörten Blick seines Vorgesetzten.
»Ich sagte, dass diese junge Kollegin Loop auf mich einen äußerst patenten Eindruck macht.«
Nonnenmacher nickte nur, das Thema war ihm gewissermaßen »wurscht«, der Polizeipräsident aber fuhr fort: »Dienstlich und menschlich top und auch optisch eine Augenweide, wie ich finde.«
»Ja?«, fragte Nonnenmacher und runzelte zweifelnd die Stirn. »Finden Sie?«
»Absolut, Herr Nonnenmacher, absolut. Die müssen Sie fördern. Aus der wird noch einmal was.« Der Polizeipräsident zögerte. »Ich frage mich nur, an wen mich die Dame erinnert. Ist es Mireille Mathieu? Die hatte auch solch sinnliche Lippen, aber natürlich eine völlig andere Frisur in einer völlig anderen Zeit. Oder doch eher die Uschi Obermaier?« Er sinnierte. »Ja, das Wilde, das aus ihren Augen strahlt, das ist vielleicht doch eher die Obermaier. Ja, ja, ganz die Obermaier. Was meinen Sie?«
Nonnenmacher zuckte unwillig mit den Schultern und scharrte mit der Spitze seiner blank gewichsten Dienstschuhe über den Asphalt. »Kann schon sein. Jedenfalls macht die mir die halbe Dienststelle verrückt.«
»Ja, das kann ich mir vorstellen. Das kann ich mir leibhaftig vorstellen. Die würde auch bei uns im Präsidium einiges auf den Kopf stellen, gerade die jüngeren Kollegen würden vermutlich Hormonschübe verspüren.« Er dachte einen Augenblick nach, dann
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