Aufgedirndlt
ging. Zum Beispiel schlug sich Kastner bei Auseinandersetzungen mit dem Dienststellenleiter immer auf ihre Seite. Hätte er sich nur nicht in den Kopf gesetzt, sie auch als Mann beeindrucken zu wollen! Damit ging er ihr regelmäßig auf die Nerven.
»Ich freue mich riesig auf den Scheich«, sagte Kastner, nachdem er einen Schluck von seinem Spezi getrunken hatte. »Das wird eine spannende Zeit. Und mit dir als Oberkommandierender des Verteidigungsrats«, er lächelte über seinen nicht eben gelungenen Scherz, »wird das sicher auch alles ohne Zwischenfälle ablaufen.«
Da Anne kaute und ihre Tochter keine Reaktion zeigte, fuhr er nach einer kurzen Pause fort: »Und dass du die Lisa ab jetzt in den Hort schickst, find’ ich auch ziemlich gut. Falls dir das übrigens nicht gefällt, wollt’ ich bloß sagen, Lisa, dann sagst halt Bescheid, und dann kannst du nachmittags zu meiner Mutter.« Weil das Mädchen immer noch nicht reagierte, meinte er noch: »Die backt einen Käsekuchen, sag’ ich dir, Weltklasse!« Dann zog er seine Fleecejacke aus und hängte sie über die Stuhllehne. Die Farben des Kleidungsstücks – ein katholisches Lila und ein giftiges Grün – leuchteten im Schein der Abendsonne, die den Raum durchflutete. An Kastner war Lagerfeld wahrlich kein Kunde verloren gegangen. »Was ich noch fragen wollte: Wieso nimmt eigentlich dein … ähm«, er räusperte sich, »… Freund die Lisa nicht mehr am Nachmittag?«
»Das ist aus«, sagte Anne mit einer Schnelligkeit, die sie selbst überraschte. In einem anderen Teil des Lokals schepperte es, als ein mit Gläsern beladenes Tablett auf den Boden fiel.
Durch diese Worte erwachte Lisa aus ihrer Lethargie. »Wie, was ist aus?«
»Bernhard und ich sind nicht mehr zusammen«, sagte Anne ruhig und spürte, dass ihr schon wieder Tränen in die Augen treten wollten.
»Ach geh!«, meinte Kastner erstaunt. Es gelang ihm dabei überraschend gut, neutral und nicht etwa erfreut zu klingen. Manchmal besiegt Mitleid den Jagdinstinkt.
»Warum seid ihr, du und Bernhard, nicht mehr zusammen, Mama?«, fragte Lisa.
»Ich weiß es nicht«, wich Anne aus.
Sepp Kastner schob seine Hand über den Tisch und legte sie vorsichtig auf Annes Hand. Die Polizistin war selbst überrascht, dass sie das in diesem Augenblick nicht störte, sondern einfach nur beruhigte.
Während Veit Höllerer auf die Polizei wartete, rätselte er, warum ihn der Anblick der toten Schönheit nicht verstörte, sondern – er wagte es kaum, diesen Gedanken zuzulassen – erregte. Seltsam, dieses Begehren des Mannes für die Frau. Sogar dann noch, wenn der Mann alt und die Frau tot war. Und das, obwohl die Menschheit bereits Zehntausende von Jahren Schöpfungsgeschichte hinter sich gebracht hatte und man mittlerweile sogar mit Computern sprechen konnte, als wären sie Menschen – jedenfalls beinahe. Höllerer brachte das Unbegreifliche auf den Punkt, nur für sich, ein für allemal: Für eine schöne Frau ließ jeder Mann das tollste Auto der Welt stehen, einen Ferrari zum Beispiel. Waren Frauen eigentlich auch so blöd? Wegen einer Frau ruinierte ein Mann sein Leben, gab seine Arbeit auf, hängte sich an einem Dachbalken in der Tenne auf, hörte auf zu essen, zu schlafen, ja sogar Bier zu trinken.
Kopfschüttelnd erinnerte sich Höllerer an seinen alten Schulfreund Hansi Rappenglück, der vor zwanzig Jahren doch tatsächlich wegen einer nicht einmal schönen Vegetarierin aus Amerika aufgehört hatte, Fleisch zu essen. Ja, ausgerechnet der Rappenglück, der einmal für eine Wette, bei der es zwei Leberkässemmeln zu gewinnen gab, einen lebenden Regenwurm verzehrt hatte. Ohne Senf. Gut, die Vegetarierin war dem Rappenglück nicht bekommen – er war bereits früh gestorben. Höllerer lebte immerhin. Aber trotzdem: Wie ließ sich dieses Mysterium erklären? Wohl nicht damit, dass das junge Ding zwei X-Chromosomen hatte und er als Mann und Bayer nur eins.
Und was, Sakrament!, war überhaupt das Wesen der Schönheit? Warum liebte der Mann den Anblick weiblicher Brüste? Das waren doch im Grunde nur mit Fett, Drüsen und Muskeln gefüllte Hauttaschen. Hörte sich das nicht ekelhaft an? Aber welcher Mann vergegenwärtigte sich das schon, wenn er ein so wohlgestaltetes Exemplar vor sich liegen hatte wie der Höllerer jetzt! Und noch verrückter wurde es, wenn man sich vorstellte, was sich da so zwischen den Beinen der Frau abspielte. Was bitte war an dem magischen Dreieck so verlockend, dass es einem
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