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Aufgedirndlt

Aufgedirndlt

Titel: Aufgedirndlt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Steinleitner
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ist eine lange Geschichte.«
    »Geht es dir gut?«
    »Ja, und dir und Lisa?«, erkundigte er sich.
    »Super«, log sie.
    Aber Bernhard schien ihr zu glauben, denn er sagte nur: »Du, ich muss dir was sagen.«
    Warum hörte er sich mit einem Mal so seltsam an? Was war los? Die Angst durchbohrte Anne wie ein Pfeil.
    »Was?«, fragte sie scharf.
    »Ich, ich …«, Bernhard suchte nach Worten. »Ich habe die Wohnung in München gekündigt.«
    »Das habe ich gemerkt«, meinte Anne schnippisch.
    »Und ich habe jetzt eine neue Bleibe.«
    »Bleibe«, wiederholte Anne, weil sie das Wort merkwürdig fand.
    »Ja«, druckste Bernhard herum. »Es ist … keine Wohnung.«
    »Keine Wohnung.«
    »Ja.«
    »Sondern? Ein Nomadenzelt?«
    »Nein, ich wohne jetzt auf dem Campingplatz.«
    »Du wohnst auf dem Campingplatz?«, fragte Anne ungläubig.
    »Ja, es war Zeit für einen Neustart.«
    »Auf dem Campingplatz.«
    »Das ist nur ein Element meines neuen Lebenskonzepts«, erläuterte Bernhard.
    »Neues Lebenskonzept, das hört sich ja spannend an«, sagte Anne. Der Sarkasmus ihrer Worte war nicht zu überhören.
    Bernhard zögerte kurz, ehe er weitersprach: »Du weißt doch, dass ich diese neue Therapie angefangen habe.« Anne schwieg. »Ich musste ja etwas tun gegen die Depressionen und gegen die ganzen Krankheiten, die ich mir eingebildet habe.« Anne sagte immer noch nichts. »Bist du noch da?«, fragte Bernhard deshalb.
    »Ja«, meinte sie knapp.
    »Also«, fuhr er fort, »ich wohne jetzt auf dem Campingplatz, und außerdem habe ich zur Zeit eine …« Er zögerte. Anne biss sich voll Anspannung auf die Unterlippe. »… eine … wie soll ich sagen … eine … Affäre.«
    Kurz war Anne gelähmt, dann platzte es aus ihr heraus: »Das ist nicht wahr! Mit wem?«
    »Es ist …, ja, es tut mir leid, es ist …« Anne wartete. Was würde jetzt kommen: meine Exfreundin, eine Klassenkameradin, eine aus der WG, eine andere Doktorandin? Aber Bernhard sagte einfach nur: »Meine Therapeutin.«
    Im selben Augenblick ließ eine Möwe direkt über dem See einen gellenden Schrei erklingen, stieß ins Wasser und stieg mit einem im Licht der Abendsonne rötlich-silbern zappelnden Fisch auf.
    Nachdem Anne Loops Freund seine Affäre mit der Therapeutin gestanden hatte, hatte die Polizistin ihren nun Ex-Lebensgefährten mit der roten Hörertaste ihres Funktelefons weggedrückt. Entschlossen hatte sie die Tränen, die unwillkürlich hervorströmen wollten, zurückgedrängt und nach ihrer Tochter Lisa gerufen. Doch weil oben im Kinderzimmer lautstark der Song ertönte, den zurzeit alle hörten, musste Anne erst die Treppe hinaufsteigen und die Stoptaste des CD-Players drücken, bevor sie sich in der dadurch entstandenen Stille hörbar machen konnte: »Komm, wir gehen Pizza essen.«
    Zehn Minuten später saßen sie in ihrer Lieblingspizzeria direkt am See. Eine halbe Stunde später dampften vor Lisa eine Pizza Prosciutto und vor Anne eine Pizza Quattro Stagioni. Siebenunddreißig Minuten später traf Anne fast der Schlag. Verantwortlich hierfür war ihr Kollege Sepp Kastner, der soeben den Gastraum betrat und sie dank seines Ermittlerblicks sofort ortete.
    »Ja, das ist ja eine Überraschung!«, sagte der Polizist, offensichtlich höchst erfreut. »Da setz’ ich mich doch gleich zu euch Schönheiten. Zwei Frauen allein in der Pizzeria am See – das ist ja quasi Freiwild hoch drei!« Dann scannte er kurz und mit einem Blick, der nach George Clooney aussehen sollte, aber eher an Mister Bean erinnerte, das Lokal.
    Kastner bestellte sich nur eine Pizza Margherita, sparte er doch auf eine Familiengründung hin, und die einzige Kandidatin, die er seit zwei Jahren dafür im Visier hatte, war Anne, was diese zwar voll Sorge ahnte, aber nicht definitiv wusste. Dann ergriff er unbeholfen das Wort: »So, so, dann seid’s heut’ also einmal aushäusig. Ist ja auch ein wunderbarer Abend, nicht?«
    Anne nickte hilflos. Lisa konzentrierte sich auf ihre Pizza. Sie konnte Kastner nicht leiden, ihre kindliche Intuition hatte ihr geflüstert, dass Kastner erstens hinter ihrer Mama her war und dass es sich bei ihm zweitens um einen ausgemachten Depp handelte.
    Annes Gefühle gegenüber Kastner waren zwiespältig: Sie schätzte seine ehrliche Geradlinigkeit und auch sein Engagement als Polizist sowie die Tatsache, dass er mit seiner unverstellten Art bei den meisten Menschen, mit denen sie zu tun hatten, gut ankam. Auch unterstützte er sie in ihrer Arbeit, wo es nur

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