Aufgedirndlt
gestandenen Mann derart den Verstand rauben konnte? Betrachtete man das Ganze rein vernunftmäßig, konnte man eigentlich nur beim weiblichen Venushügel von so etwas wie Schönheit sprechen. Immerhin erinnerte diese Erhebung von ihrer geologischen Formation her an die sanften Hügel der bayerischen Voralpen, die den Gefilden zwischen Bodensee und Berchtesgaden ihren einzigartigen Charakter verliehen. Aber welcher Mann hielt sich schon länger beim Venushügel auf? Das brauchte dem Höllerer keiner zu erzählen: Das Mannsbild zog es, gleich welcher Nationalität, Sprache und Religion, nicht in erster Linie auf den Höhenkamm der weiblichen Scham. Vielmehr stürzte sich, wer den Gipfel der Lust suchte, in die feuchten Tiefen der nach Erde, Wald und Vanille riechenden Höhle zwischen den weiblichen Schenkeln. Insgesamt fand Höllerer das in Bezug auf sich selbst auch insofern seltsam, weil es ihn im richtigen Leben zu keiner Gelegenheit in irgendwelche Höhlen zog. Höhlen konnten ihm, dem Jäger, der hinauf auf die Gipfel strebte, gestohlen bleiben.
Irgendwie ergab das alles keinen Sinn!
Und dann noch diese tätowierten Hörner, die da aus dem Venusdreieck der Toten herauswuchsen. Hatte das Mädchen gar etwas mit dem Teufel am Laufen gehabt? Musste es am Ende deshalb sterben? War es einem wüsten Mordritual zum Opfer gefallen? Einer satanischen Messe? Wie überhaupt war dieses junge Ding zu Tode gekommen?
Sahen irgendwie frech aus, diese Hörner. Höllerer ertappte sich bei einem Lächeln, und seine Gedanken, die fand er überhaupt nicht unzüchtig. Aber seiner Frau, die gerade neue Wadlstrümpfe für ihn strickte – natürlich nach dem traditionellen Muster –, hätte er die Details seines Philosophierens niemals preisgegeben. Und der Polizei schon gar nicht. Zu gerne hätte er das Mädchen gefragt, ob die Hörner eine Art Gaudi darstellten, eine witzige Maskerade; das Wort »Intimfasching« kam ihm in den Sinn. Gab es dieses Wort, oder hatte er sich das jetzt ausgedacht?
Die Schamhaare, von denen die Hörner ausgingen, erinnerten Höllerer jedenfalls an den Kopf der Gams, die er kürzlich nahe der Rauheckalm erlegt hatte. Die Hörner derselben hatte er noch nicht präpariert. Aber falls diese junge menschliche Gams nicht eines natürlichen Todes gestorben, sondern von einem erlegt worden war, dann durfte sich dieser Jemand auf etwas gefasst machen. Der alte Jäger, geboren und aufgewachsen an dem See inmitten von Bergen, war sich sicher: Das, was er hier gefunden hatte, hatte das Zeug zum Skandal. Und während Höllerer noch diesen Gedanken nachhing, beobachtete er, wie seine rechte Hand gleichsam ferngesteuert durch die Luft flog, um dann vorsichtig in dem feuchten Schamhaar der toten Frau zu landen. War Höllerer verrückt geworden? Einiges sprach dafür, denn just in diesem Moment vollführten die Finger des Pensionisten auf dem Venushügel des toten Fräuleins eine schwunghafte, nicht unzärtliche kreisrunde Bewegung und verschwanden, so schnell, wie sie gekommen waren, wieder in der Jackentasche. Höllerers Jagdhund hatte alles beobachtet.
ZWEI
Gewiss ist der Bayer ein Mensch, der sich gern vom Nichtbayern abgrenzt. Meist aber hat er Mitleid mit Letzterem: Was kann jemand schon dafür, in Hamburg-Blankenese oder Düsseldorf-Oberkassel das Licht der Welt erblickt zu haben? Das ist in den Augen des Bayern genauso schicksalhaftes Pech, wie wenn man dazu gezwungen wird, im falschen Glauben aufzuwachsen. Der Bayer ist natürlich und von Haus aus Katholik. Von Geburt an (wenn nicht schon vorher) weiß er, dass der Gott der Katholiken der Beste ist, denn er hat die Lederhose – auf bairisch auch »Krachlederne« genannt – und die Weißwurst erschaffen, samt süßem Senf. Zwar nicht direkt aus Adams Rippe, aber trotzdem.
Trotz dieses Wissensvorsprungs ist der Bayer ein toleranter und guter Mensch, weshalb er in seinem Land viele Fremdenzimmer bereithält – andernorts Gästezimmer genannt, was eine lächerliche Beschönigung darstellt, der gegenüber sich der Bayer aus Gottesfurcht und Ehrlichkeit verschließt. Diese Zimmer dienen jedenfalls dem Zweck, Andersgläubigen oder aus der Ferne Stammenden eine Herberge zu bieten.
Weil der Bayer aber von seinem Gott dazu verdonnert wurde, bereits auf Erden zu leiden, um dann im Himmelreich die Sau herauslassen zu können, tritt er jenen aus der Fremde kommenden Kreaturen zwar meist grantig, aber duldsam entgegen. Für den Bayern ist es kein Zufall, dass die
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