Aufgedirndlt
womöglich auch noch so ein grünes Krokodil in dem Biergarten? Am Ende eines, das wo bellt und Wasti heißt?«
»Also Sepp, jetzt übertreib mal nicht so«, versuchte Anne Loop auf ihren Kollegen einzuwirken. »Uns ist doch völlig klar, was Herr Lappöhn mit der Bezeichnung ›Seppelhut‹ meint, auch wenn dir diese Bezeichnung für einen Hut vielleicht nicht gefällt.«
»Nicht gefällt?« Kastners Stimme überschlug sich. »Herr Lappöhn, das ist ein Hut, ein stinknormaler Hut. Meinetwegen können Sie auch Trachtenhut sagen oder Jagerhut oder weiß der Teufel was, aber bitte nie wieder dieses andere Wort. Das ist eine Beleidigung!«
Jobst Lappöhn schwieg und starrte betreten auf seine Hände.
»Wenn du dich jetzt ein wenig beruhigt hast«, ergriff Anne das Wort, »dann können wir vielleicht weitermachen. Was hatte der Herr mit dem Trachtenhut außerdem an?«
Völlig verunsichert stammelte der Nordfriese nun: »Die bayerische Jacke hatte ich ja bereits erwähnt. Außerdem trug er eine Hose, die – ich bin mir da nicht sicher, und ich möchte Ihnen, Herr Wachtmeister …«
»… Polizeiobermeister«, Kastner stöhnte auf. »Wachtmeister, das gibt’s nur mehr beim Räuber Hotzenplotz.«
»Entschuldigung, Herr Polizeiobermeister«, sagte der Urlauber unterwürfig.
»Er trug also eine Hose«, sprang Anne dem Zeugen zur Seite.
»Ja, so eine aus Leder.« Unsicher suchte er Annes Blick.
Sie kam ihm zu Hilfe: »Eine Krachlederne?«
»Ja«, bestätigte der Nordfriese unendlich erleichtert und fügte hastig hinzu: »Und solche Stirnbänder für die Beine.«
Sepp Kastner fiel der Stift aus der Hand, er lehnte sich zurück, schaute mit leerem Blick zum Fenster hinaus, betrachtete wieder den Norddeutschen, schüttelte den Kopf, grimassierte und sprang schließlich auf, um in schnellen Schritten zur Tür zu eilen, sie aufzureißen und sie hinter sich zuzudonnern.
Anne und der Flachländer hörten ihn noch »Stirnbänder für die Beine!« brüllen, »Stirnbänder für die Beine!«.
»Die nennt man Wadenstrümpfe oder Loferl, Herr Lappöhn, das sollten Sie sich vielleicht merken, falls Sie noch öfter in Bayern Urlaub machen wollen.«
Trotz des Ansturms durch die einheimischen Frauen erwies sich die Bewachung des Hotels als wenig problematisch. Die Dienstpläne, die Anne gemeinsam mit Sepp Kastner entworfen und dann um des dienststelleninternen Friedens willen von Kurt Nonnenmacher hatte überprüfen und genehmigen lassen, garantierten, dass die Sicherheit der königlichen Familie aus Arabien rund um die Uhr gewährleistet war. Natürlich schob auch Anne persönlich Wachdienst. Allerdings hatte sie sich die Freiheit herausgenommen, nur tagsüber Präsenz zu zeigen, damit sie die Abende gemeinsam mit Lisa verbringen konnte und damit sie nachts zu Hause war.
Im Großen und Ganzen schien das Mädchen das plötzliche Verschwinden Bernhards, der immerhin in den vergangenen Jahren seine wichtigste männliche Bezugsperson gewesen war, gut zu verkraften. Jedenfalls fragte Lisa nie mehr nach ihm. Und auch Anne war überrascht, wie leicht es ihr fiel, ihren langjährigen Lebenspartner und alles, was mit ihm zusammenhing, aus ihren Gedanken zu verbannen. War die Beziehung mit dem psychisch angeschlagenen Mann für sie doch vor allem eine Belastung gewesen?
Eines Abends, Lisa war bereits im Bett, und Anne hatte es sich mit einem Buch auf dem Sofa gemütlich gemacht, konnte sie jedoch nicht verhindern, dass er sich in ihre Gedanken stahl und sie vom Lesen abhielt. Weil sie es ohnehin schon länger vorgehabt hatte, nahm Anne nun das Telefon zur Hand und wählte seine Nummer. Während sie dem Tuten lauschte, spürte sie, wie sie immer aufgeregter wurde. Nachdem es etwa zwölf Mal getutet hatte, ertönte Bernhards Stimme, die den Anrufer aufforderte, eine Nachricht zu hinterlassen. Anne drückte sofort auf die rote Hörertaste: aufgelegt.
Nachdenklich betrachtete sie ihre Hände. Sie waren vom Sommer auf dem Land schon leicht gebräunt, feine Äderchen zeichneten sich unter der Haut ab, vereinzelt waren auch Pigmentflecken zu erkennen. Ich bin jetzt vierunddreißig, dachte Anne, habe ein Kind, bei dessen Erziehung mir keiner hilft, und mein Freund hat mich verlassen. Aber vierunddreißig ist kein Alter. Ich will und ich werde mich wieder verlieben. Unwillkürlich musste sie bei diesem Gedanken lächeln.
Dann klingelte das Telefon. Auf dem Display erkannte sie Bernhards Nummer. Dennoch meldete sie sich mit »Anne
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