Aufgedirndlt
seine Kollegin, die aus dem Rheinland stammte. Er und Anne standen gerade auf der Terrasse vor dem zum Hotel gehörenden Schlösschen und schauten zum Sonnenbichl hinüber. Anne nickte.
»Ich glaub’, dem Scheich gefällt’s auch«, meinte Kastner. »Hast’ schon gehört: Die ganzen Frauen, die der dabei hat, das sind alles seine.« Anne zeigte keine Reaktion. »Ich hab’ gedacht, dass vielleicht eine von dem Cousin ist, aber nix, alle von ihm! Weißt’, wie viele das sind?« Sepp Kastner hob seine rechte Hand, alle Finger reckten sich in den bayerisch-blauen Himmel. »Fünf«, meinte er anerkennend. »Ein Mann, fünf Frauen, Wahnsinn.« Anne konzentrierte sich auf ein sehr großes Segelboot, das vom Malerwinkel her kommend eine Furche ins Wasser schnitt, gerade passierte es die Engstelle an der Überfahrt. »Und jetzt will der noch mehr. Ein Frauen-Nimmersatt, ein Lustmolch, so ein Ölscheich.«
»Sag nicht Ölscheich, Sepp, sag Emir. Das klingt höflicher.«
»Trotzdem ein Gierbolzen, also jedenfalls was Frauen angeht. Da könnt’ ja jeder daherkommen!« Einen Augenblick lang hing er seinen Gedanken nach. »Meine Nachbarin will sich auch bewerben. Die macht jetzt im Garten immer so Hüftbewegungen, ich glaub’, das soll Bauchtanz sein. Schaut ziemlich bescheuert aus, weil die ist so dick. Aber ich glaub’, die Öl… ah, die Emirs …«
»Ein Emir, Sepp, viele Emire«, unterbrach ihn Anne.
»Die Emire«, meinte Kastner, »die stehen auf dicke Frauen. Ich ja nicht so.« Er betrachtete Anne von der Seite. »Mir gefällt das schon besser, so wie du ausschaust.«
»Ich glaube, Sepp«, erwiderte Anne, ohne auf das Kompliment einzugehen, »dass man auch in arabischen Ländern schlanke Frauen schätzt. Die Frau des Emirs von Katar zum Beispiel hat eine Topfigur. Obendrein ist sie gebildet und fördert die Wissenschaft. Sogar mit der Technischen Uni in München kooperiert sie. Und du brauchst auch nicht zu glauben, dass diese Scheichs nur reich und dumm sind. Der von Katar zum Beispiel hat in England an der Königlichen Militärakademie studiert. Die sind top ausgebildet, Sepp – was man von unseren Politikern nicht immer sagen kann …«
»Also unser bayerischer Ministerpräsident hat auch einen Ehrendoktor.«
»Aber nur einen ukrainischen, Sepp«, wandte Anne ein.
»Das ist immer noch besser als wie der gefälschte von dem Adligen aus Franken. Außerdem kommt unser Ministerpräsident von ganz unten. Der hat sich hochgearbeitet wie unsereins. Hundertprozentig weiß der besser, was das Volk denkt, als wie ein Ölscheich.«
»Würdest du dich eigentlich auch für das Casting beim Scheich bewerben, wenn du nicht zu alt wärst?«, fragte er dann geradeheraus.
»Das kann ich mir nicht vorstellen«, antwortete Anne schnell.
»Warum nicht?«
»Weil ich an die …«, Anne zögerte, »… an die Liebe glaube. Und darum geht es bei so einem Casting ja wohl eher nicht.«
»Der Scheich wird sich schon auch in die Frau verlieben, die wo er sich da auswählt«, meinte Kastner. »Bei dem Haufen Frauen, der wo da kommt, wird schon ein Reh dabei sein, das ihm gefällt.«
»Und die Frauen, was ist mit denen?«
»Vielleicht fällt denen das Verlieben ja leichter, wenn der Mann reich und großzügig ist.« Kastner zögerte kurz, griff dann in seine Hosentasche und hielt Anne ein Hustenbonbon hin: »Magst du eins?« Anne nahm das Geschenk an. »Ich habe mal gelesen«, fuhr Kastner fort, »dass Frauen sich eh nicht auf den ersten Blick verlieben, sondern erst nach einiger Zeit.« Anne sah ihn an und hob spöttisch die Augenbrauen, was ihr Kollege ignorierte. »Ich sag’ immer: Steter Tropfen höhlt den Stein.«
Anne wusste nicht, weshalb, aber irgendwie machte ihr diese Aussage Angst.
—
Auf dem Zonenhof der Hippie-Mädchen hatte sich die Stimmung seit dem Eintreffen des Anwaltsschreibens grundlegend verändert. Lustlos bewirtschafteten die Amazonen ihre Felder, niemand machte mehr Party, und die Gespräche beschränkten sich auf das Notwendigste. Die Bio-Bäuerinnen hatten sogar das Interesse daran verloren, arglose Männer zu vernaschen. Immerhin hatte Pauline eine Arbeitsgruppe gegründet, die nach Möglichkeiten suchen sollte, den Rauswurf aus dem Gutshof zu verhindern.
Auch hatten die Hippie-Mädchen sich bemüht, mit dem Eigentümer des Hofs in Verhandlung zu treten, doch der weigerte sich strikt, mit ihnen auch nur zu sprechen. Also hatten sie Kontakt mit der Anwaltskanzlei ihres Verpächters
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