Aufgedirndlt
Loop«.
»Hallo, Anne, ich bin’s«, sagte ihr Ex.
»Wer?«, stellte sie sich unwissend.
»Bernhard«, meinte dieser, es klang ein wenig genervt. »Ich habe deine Nummer auf meinem Handy gesehen. Du hast doch gerade eben angerufen.«
Anne schwieg. Es entstand eine längere Pause.
»Also, was wolltest du?«
»Geht’s dir gut?«
»Geht schon«, erwiderte er. »Nur mit der Doktorarbeit komme ich nicht so richtig voran.«
Anne verdrehte die Augen. Wenigstens damit musste sie sich nun nicht mehr herumschlagen.
»Das mit dem Campingplatz war eine gute Entscheidung. Hier ist immer alles in Bewegung. Leute kommen, Leute gehen.« Dann fuhr er zögerlicher fort: »Aber … du fehlst mir.« Er schwieg. Wieder entstand eine Pause. Doch Anne sah auch jetzt keine Veranlassung, diese zu füllen. Bernhard unternahm einen weiteren Anlauf: »Sollen wir … sollen wir … uns nicht mal wieder treffen?«
Ohne nachzudenken, sagte Anne: »Nö.« So kurz und knapp hatte sie es eigentlich gar nicht aussprechen wollen, aber ihre Worte hatten sich einfach verselbstständigt.
»Nö?«, fragte Bernhard überrascht.
»Nö!«, wiederholte Anne, jetzt noch ganz ruhig. »Du hast gesagt, du brauchst eine Auszeit. Du hast dich für eine Affäre mit deiner Therapeutin entschieden.« Jetzt wurde Annes Stimme lauter, und ihre Worte sprudelten nur so aus ihr heraus. »Du hast mich hier mit Lisa allein gelassen, was schon aus organisatorischen Gründen total rücksichtslos war; von dem, was du damit bei mir emotional angerichtet hast, wollen wir jetzt mal gar nicht sprechen. Und jetzt …« Sie stockte und stoppte.
Warum brach dies alles nun so plötzlich aus ihr heraus?
Sie wollte nicht mit Bernhard abrechnen, das hatte sie sich jedenfalls vorgenommen. Aber genau das tat sie jetzt gerade. Wie konnte sie nur so unsouverän sein? Fuck. Und Bernhard schien betroffen zu sein, jedenfalls sagte er nichts.
Dann hörte Anne ein leises: »Es tut mir leid.« Und wenig später fragte Bernhard: »Wie geht es Lisa?«
»Gut, sie vermisst dich … NICHT!« Anne erschrak. Schon wieder war sie sich entglitten. Sie fing sich und sagte: »Ich meine, ich bin froh, dass sie die Situation anscheinend ganz gut verarbeitet. Sie fragt jedenfalls nur selten nach dir, und ich habe den Eindruck, dass sie nicht leidet.«
»Gut«, meinte Bernhard. Anne konnte nicht heraushören, ob er nun beleidigt oder traurig war oder ob er es wirklich gut fand, dass Lisa ihn nicht vermisste. Wieder entstand eine längere Pause, während der Anne glaubte, durch das Telefon ein Geräusch zu hören, als ob ein Schrank geschlossen würde.
»Was war das?«
»Die Tür zu meinem Campingwagen«, antwortete Bernhard.
»Du bist nicht allein?«, fragte Anne.
»Marion ist bei mir.«
»Marion.«
»Meine … Therapeutin.«
Anne sah auf die Uhr, es war kurz nach neun: »Die Sache läuft noch?« Anne wunderte sich über den verharmlosenden Begriff »Sache«, den sie für Bernhards miese Affäre gewählt hatte.
Bernhard presste ein verlegenes »Ja« heraus.
»Und du möchtest uns besuchen kommen?«, fragte Anne weiter.
»Ja«, antwortete Bernhard erneut.
»Und was versprichst du dir davon?« Anne konnte nicht verhindern, dass sie dabei angriffslustig klang.
Bernhard klang etwas verzweifelt, als er antwortete: »Du weißt doch, dass ich kein berechnender Mensch bin. Ich verspreche mir gar nichts davon, oder jedenfalls habe ich mir darüber keine Gedanken gemacht. Ich würde euch halt gerne mal wieder sehen. Mehr nicht. Aber jetzt muss ich aufhören.«
»Wegen der …«, sie tat so, als müsste sie in ihrer Erinnerung nach dem Namen der anderen suchen, und fand sich großartig, als sie »Marianne« sagte.
Bernhard korrigierte den falschen Namen nicht, er sagte nur: »Ja.«
Nachdem Anne aufgelegt hatte, kullerte eine einzelne Träne über ihre Wange zum Mund hinunter. Anne fing den Tropfen mit ihrer Zunge auf. Er schmeckte salzig.
Die begehrteste Aufgabe für die Beamten, die das Hotel bewachten, war, über das Gelände zu patrouillieren. Angesichts des trocken-heißen Sommerwetters fanden die eingeteilten Polizisten es beinahe so schön wie spazieren zu gehen. Selbst wenn sich auf den weitläufigen Außenanlagen des Hotels nichts ereignete, so war es doch nie langweilig, denn hier hatte man beinahe von überall aus einen fabelhaften Blick auf das tiefblaue Wasser, die Berge und die Häuser der Seegemeinden.
»Gefällt’s dir denn jetzt eigentlich bei uns?«, fragte Sepp Kastner
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