Aufgedirndlt
schlichtes hellblaues T-Shirt und blauweiß karierte Shorts – aus dem Zelt gekrochen, rieb sich die Augen und ging barfuß in die Mitte des Zeltdorfs, wo neben dem erloschenen Lagerfeuer einige Campingkocher standen.
Bei dem dann folgenden Gespräch erfuhr Anne alles über die Amazonen: wo sie herkamen, warum sie nun hier in Bayern waren und dass sie von einem anderen Leben träumten. Anne fand die patente Pauline auf Anhieb sympathisch. Auch beeindruckte sie, dass die Amazonen sich von allen Konventionen befreit hatten, um ein selbstbestimmtes Leben zu führen. Dann kamen sie auf die tote Madleen zu sprechen, und Pauline begann zu weinen. Es sei ihr unerklärlich, wie das habe passieren können. Ob man denn schon wisse, an was Pauline gestorben sei?
Anne sagte, dass man so weit noch nicht sei. Falls die Hippiemädchen in den Fall verstrickt sein sollten, war es besser, sie verriet ihnen nicht zu viel mögliches Täterwissen.
Dann erkundigte sich Anne, ob die Mädchen im Lager Drogen konsumierten. Pauline zögerte mit der Antwort, suchte Blickkontakt mit Kastner, doch der studierte die Schwingungen der Schnürsenkel an seinen schwarzen Dienstschuhen, als wären es hochgiftige Wasserschlangen.
Anne spürte Paulines Unsicherheit und sagte deshalb schnell: »Nicht dass du mich falsch verstehst. Es geht mir bei dieser Frage nicht darum, euch wegen irgendwelcher harmloser Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz dranzukriegen. Fragen wir also anders: Hat Madleen Drogen konsumiert?«
»Ja«, sagte Pauline jetzt rasch.
»Und welche?«
»Haschisch, Marihuana, auch mal Pillen«, zählte Pauline auf.
»Was für Pillen?«
»Weiß ich nicht mehr, ist schon länger her. In Bayern haben wir da eher die Finger von gelassen. Ihr seid hier ja ’n bisschen krass drauf in der Hinsicht …« Pauline nahm einen Schluck aus ihrer Kaffeetasse; ihre Antwort klang glaubwürdig.
»Hat Madleen, seit ihr hier am See seid, andere Drogen außer Haschisch oder Marihuana konsumiert?«
»Na ja, ich war ja nun nicht die ganze Zeit mit ihr zusammen …«, meinte Pauline. »Wir kontrollieren uns natürlich nicht dauernd gegenseitig. Soweit ich weiß, hat sie nichts genommen, seit wir hier sind. Aber …«
»Kennst du Liquid Ecstasy?«
Pauline sah Anne verächtlich an. »So ’nen Chemiedreck würde ich nie nehmen.«
»Und Madleen?«
»Kann ich mir nicht vorstellen.«
Anne warf Kastner einen Blick zu, den Pauline nicht zu interpretieren wusste.
»Wo war Madleen in der Nacht, in der sie gestorben ist?«
»Auf dem Seefest?« Paulines Antwort klang mehr wie eine Frage.
»Wart ihr alle zusammen dort?«
»Wir sind gemeinsam rübergefahren, mit dem Bus. Da war Madleen auch dabei. Auf dem Fest sind wir dann aber nicht zusammen geblieben.«
»Wann hast du Madleen zum letzten Mal gesehen?«
Pauline dachte lange nach, nahm wieder einen Schluck von ihrem Kaffee, drehte sich eine Zigarette.
»Vielleicht so um neun?« Sie zuckte mit den Schultern. »Ich weiß es nicht genau, also ich meine, ich war ja auch nicht … ganz … nüchtern. Wir hatten hier schon was getrunken – und …«, sie zögerte, »… geraucht … und dann dort auch noch, und dann kriegt man ja manches nicht so richtig mit. Aber wir können ja die anderen fragen, ob sie mehr wissen.«
Es dauerte noch eine Weile, bis Anne und Kastner auch die anderen Mädchen vom Zonenhof befragt hatten. Aber keine konnte sich daran erinnern, Madleen nach neun oder zehn Uhr noch gesehen zu haben. Auch über etwaige Feinde Madleens wussten die Hippiemädchen nichts zu berichten. Wenngleich Pauline einräumte, dass das Männer-Konzept, nach dem ihre Gruppe auf dem Bauernhof gelebt hatte – Sex mit Männern ja, aber keine festen Beziehungen –, in der Vergangenheit durchaus zu Eifersüchteleien geführt hatte. Auch Drohbriefe enttäuschter Liebhaber hätten sie mitunter bekommen. Die Frage, ob sie sich vorstellen könne, dass ein enttäuschter Liebhaber Madleen umgebracht habe, verneinte Pauline aber eindeutig. Auch die Typen aus dem Dorf, die hier in den vergangenen Tagen, zumeist abends, aufgekreuzt seien, hätten einen eher harmlosen Eindruck gemacht. Pauline warf Kastner einen Blick zu, den Anne nicht so recht einzuordnen wusste. Zwar habe es da schon auch hin und wieder Diskussionen gegeben, aber das sei alles im grünen Bereich geblieben. Das sei halt so, wenn man bekifft herumknutsche. Anne nickte und wunderte sich. Was denn das so für Typen aus dem Dorf gewesen seien,
Weitere Kostenlose Bücher