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Aufgedirndlt

Aufgedirndlt

Titel: Aufgedirndlt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Steinleitner
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die hier in den vergangenen Tagen aufgekreuzt seien?
    »Also, das kann er dir eigentlich besser erklären«, meinte Pauline und deutete zu Annes Überraschung auf Kastner.
    »Ich war auch einmal da«, gestand dieser nun hastig ein. »Ich wollt’ halt nach dem Rechten sehen, gell.«
    »So so, nach dem Rechten sehen.« Anne nickte vieldeutig in Richtung ihres Kollegen. »Na ja, seine Sicht der Dinge kann mir der Sepp dann ja nachher noch erzählen. Aber jetzt sag du mir mal, wer sonst noch so alles hier war.«
    Pauline berichtete von den Besuchen des Schlagersängers Hanni Hirlwimmer, des Gleitschirmfliegers Heribert Kohlhammer, auch ein Gemeinderat sei mal dagewesen, soweit sie das mitbekommen habe; die Männer hätten ja teilweise schon auch ein wenig mit ihrer Wichtigkeit geprotzt. Aber nicht nur prominente, auch ganz normale Männer, verheiratete und unverheiratete, junge und alte, hätten sie besucht.
    Anne kam aus dem Staunen nicht mehr heraus. »Und da gab es nie Streit, aus dem man auf ein Motiv schließen könnte – also dass ein Mann Madleen …?«
    »Nö«, behauptete Pauline. »Nie.«
    Auf der Rückfahrt in die Dienststelle war Sepp Kastner ungewöhnlich still, was mit der Äußerung seiner Kollegin zusammenhängen mochte, nachdem sie wieder in den Wagen gestiegen waren: »Dass du da mit denen Party machst, Sepp, das finde ich jetzt aber schon den totalen Hammer. Jetzt verstehe ich auch, wieso du partout nicht mitkommen wolltest.« Sie zögerte einen Augenblick und meinte dann trocken: »Sepp, du bist schon eine Vollpfeife!«
    Dass ein Gymnasium im selben Gebäude untergebracht ist wie eine urige Wirtschaft mit Bierschwemme, darf man ebenso als bayerische Einzigartigkeit ansehen wie die Tatsache, dass bei den bajuwarischen Einheiten der Bundeswehr auch während des Dienstes der Genuss von Bier erlaubt ist. Dennoch ist dies nicht weiter verwunderlich, denn in Bayern wird das Bier als mineralstoff- und vitaminreiches Grundnahrungsmittel angesehen, das der Ertüchtigung der Soldaten dient. Auch verfügt der bayerische Körper im Gegensatz zum bundesdeutschen über einen vollkommen anderen Stoffwechsel: Er hat – die Hintergründe dieses biochemischen Mysteriums sind noch nicht vollständig erforscht – einen ungemein starken Bierdurst. Deshalb hat sich im Freistaat auch eine äußerst facettenreiche Braukunst entwickelt. Der Nachwuchs für diese Kunst wird bis zum heutigen Tag an den bayerischen Schulen herangezogen, insbesondere auch an den bayerischen Gymnasien.
    Daher konnte das hiesige Gymnasium für sich beanspruchen, an einem idealen Ort zum Lernen untergebracht zu sein. Hier war alles Wichtige unter einem Dach: nicht nur die Schule und eine Gastwirtschaft, sondern auch die katholische Kirche und obendrein eine Wohnung für die herzogliche Familie.
    Mehrfach hatten bayerische Kultusminister in der bundesdeutschen Kultusministerkonferenz angeregt, ein Gesetz zu verabschieden, das alle Gymnasien in Deutschland dazu verpflichtete, ihre Infrastruktur ebenso vorbildhaft zu optimieren. Aber leider werden bayerische Vorschläge in der Bundespolitik zumeist überhört. Auch die Aussage eines bayerischen Ministerpräsidenten, dass man mit zwei Maß Bier noch gut Auto fahren könne, fand in Norddeutschland wenig Anklang. Seit vielen Jahren rätselt man in Bayern, worin diese Taubheit begründet liegen könnte, und der ein oder andere Bayer möchte einen Minderwertigkeitskomplex nicht ausschließen.
    Der Schüler Anton Graf jedenfalls hatte keine Komplexe. Eben erst hatte er sich ein neues Mobiltelefon gekauft. Zwar war das bisher in Gebrauch gewesene Modell erst ein paar Monate alt gewesen, aber es hatte nicht über die Fähigkeit verfügt, herannahende Menschen an ihrem Schrittmuster zu erkennen. Das formidable neue Handy konnte das, Gott sei Dank! Viele hielten diese innovative Funktion für Schnickschnack, aber für Graf war sie extrem wichtig. Als Drogenproduzent musste er nämlich ständig auf der Hut sein. Näherten sich im Flur des elterlichen Hauses Schritte in Richtung seines zum Labor umgemodelten Kinderzimmers, meldete sich das Telefon zu Wort und sagte: »Mama«, »Opa«, »Onki« oder »Achtung«. »Achtung« bedeutete, dass ein Fremder im Anmarsch war.
    An diesem Tag war es die Polizei in Gestalt von Anne Loop und Sepp Kastner. Als die beiden Beamten ins Zimmer des katholischen Elftklässlers kamen, hatte der bereits alle für seine wissenschaftlichen Experimente notwendigen Utensilien in dem

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