Aufgedirndlt
seiner Körperhaltung erkennen, dass es in ihm arbeitete. Und dann ging plötzlich alles ganz schnell: Der Cousin des Scheichs zog den Vorhang zu, drehte sich blitzartig um, ging drei Schritte auf Anne zu, beugte sich zu ihr hinunter, packte sie fest an den Schultern und brachte sein Gesicht ganz nah an ihres heran. So nah, dass sie sein männliches Rasierwasser riechen konnte. Dann sagte er: »Ja, ich wollte mit diesem Mädchen Madleen schlafen. Genauso, wie ich mit jedem schönen Mädchen schlafen möchte. Auch mit Ihnen, am liebsten sofort.« Anne fühlte sich, als blickte sie in die Augen eines Tigers. Ihr war, als würden die dunklen Augen sie lähmen. »Aber glauben Sie mir, Frau Loop, niemals würde ich einer Frau gegenüber Gewalt anwenden oder ihren Willen missachten. Ich frage mich, für wie blöd Sie uns eigentlich halten. Natürlich sind wir reich, und natürlich bringt dieser Reichtum mit sich, dass wir uns Dinge erlauben können, die für andere Menschen undenkbar sind. Aber wir respektieren die Gesetze. Und es gibt genug schöne Frauen, die uns freiwillig in unsere Gemächer folgen.«
Nachdem Aladdin Bassam bin Suhail diese Worte gesprochen hatte, wandte er sich ab und verließ den Raum. Anne brauchte noch eine ganze Weile, um sich von der Intensität der Situation zu erholen. Dieser Mann war wie ein wildes Tier. Und was geschah, wenn das Tier die Kontrolle über sich verlor?
Auch Kastner und Schmiedle waren, während Anne Fahda und Aladdin bin Suhail vernommen hatte, nicht untätig geblieben. Die beiden Ermittler hatten das komplette Schlösschen mit all seinen Suiten durchsucht. Von Liquid Ecstasy oder den zu seiner Herstellung geeigneten Gerätschaften entdeckten sie aber nicht die Spur, nicht einmal einen Fingerhut voller Opium konnten sie aufstöbern. Dafür fanden die beiden ein gutes Dutzend Wasserpfeifen und andere orientalische Rauchgeräte.
Bei der Audienz, die der völlig überraschte Emir den beiden engagierten Polizisten gewährte, erklärte dieser, wie auch schon seine dritte Frau Fahda, dass die Wasserpfeifen lediglich zum Genuss harmloser Fruchttabake verwendet würden.
»Wer’s glaubt, wird selig«, brummte Nonnenmacher verächtlich, als man ihm einige Stunden später davon berichtete. Doch der entmachtete Dienststellenleiter wollte dem Frieden nicht trauen. Vielmehr vermutete er eine undichte Stelle bei der Kripo der Kreisstadt – oder womöglich sogar im Polizeipräsidium. Hatte man die Araber vor der Hausdurchsuchung gewarnt? Der alte Ermittlerhase Nonnenmacher hielt es für gut möglich, dass in diesem Fall höchste politische Instanzen mitmischten. Schließlich waren seit der Rettung des Fußballvereins 1860 München auf einmal alle scharf auf das Geld aus Arabien. Warum sollte da nicht auch ein brisanter Mordfall von höchster bayerischer oder gar bundesdeutscher Stelle vertuscht werden? Nonnenmacher dachte an die mysteriösen Todesfälle von Uwe Barschel, Michael Jackson und des Spions Alexander Litwinenko. Hatte man es auch hier, im Fall Madleen, mit einer Verschwörung zu tun?
Annes Spürsinn dagegen sagte ihr, dass derjenige, der mit Madleen Simon vor ihrem Tod Sex gehabt hatte, in anderen Kreisen als den arabischen zu suchen war.
FÜNF
»Gut, dann müssen wir den Höllerer jetzt festnehmen«, sagte Anne mit ruhiger Stimme und wandte sich Sepp Kastner zu. Die beiden saßen in ihrem Dienstzimmer, und Anne hielt ein Blatt Papier in der Hand, aus dem hervorging, dass im Intimbereich der toten Madleen Simon eindeutig DNA-Spuren des Pensionärs nachgewiesen worden waren.
»Da wird der Nonnenmacher toben«, meinte Kastner. Und auch ihm war bei der Vorstellung unwohl, einen Mitbürger aus dem Tal des Mordes zu verdächtigen. Aber Kastner erinnerte sich noch ganz genau: Der Höllerer hatte, als er und Anne ihn direkt nach dem Auffinden der Leiche befragt hatten, gesagt, er habe die Leiche nur an den Händen angefasst. Wie konnte dann sein genetischer Fingerabdruck an die Scham des Mädchens gelangen? Hatte der Höllerer gelogen? Und wenn ja: warum?
Wider Erwarten reagierte Nonnenmacher erstaunlich einsilbig auf die Nachricht, man müsse den pensionierten Schneider und Hobbyjäger Höllerer verhaften. Die Stimme des Dienststellenleiters hatte einen tieferen und raueren Klang als sonst. Auch schien er jede überflüssige Bewegung zu vermeiden. Auf die Frage, ob es ihm nicht gut gehe, ob er womöglich krank sei, antwortete der Inspektionschef aber mit einem lauten
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