Aufgedirndlt
konnte sie freilich in dem Moment, in dem sie das Büro ihres Chefs Kurt Nonnenmacher zur morgendlichen Besprechung betrat, noch nicht ahnen.
Der Chef wirkte noch grantiger als am Vortag. Auf seinem Schreibtisch lag ein Blatt Papier, und seinem Gehabe nach hatte seine miese Laune etwas damit zu tun.
Als auch Sepp Kastner mit leichter Verspätung den Raum betrat und wie üblich die Tür nur anlehnte, wies Nonnenmacher ihn wütend zurecht: »Tür zu, oder habt’s ihr daheim Teppiche vor der Tür hängen?«
Kastner roch die dicke Luft, trabte deshalb zügig zur Tür und schloss sie möglichst geräuschlos.
Die Zimmerpflanze, die hinter Nonnenmachers Rücken auf dem Fensterbrett vor sich hin vegetierte, wippte zaghaft in der lauen Seeluft, welche sich gemeinsam mit einer Wespe durch das gekippte Fenster hereinschummelte.
»Frau Loop, jetzt mal unter Kollegen und ganz ehrlich: Haben Sie hinter meinem Rücken irgendwas mit dem Ministerium gemauschelt?«
Anne schaute ihren Vorgesetzten irritiert an. Dessen Magen knurrte wie ein wildes Tier, obwohl das Reisfrühstück, das er heute auf seinem Freisitz mit Blick auf das Gulbransson-Museum eingenommen hatte, kaum länger als achtunddreißig Minuten zurücklag. Auch Sepp Kastner wirkte plötzlich nervös. Und als wäre dies nicht schon genug, trainierte direkt vor dem Fenster eine Möwe Sturzflug.
Ehe Anne etwas antworten konnte, drohte Nonnenmacher: »Ich sage Ihnen eins: Wenn Sie mich hier als Dienststellenleiter absägen wollen, dann gnade Ihnen Gott! Ich schau’ vielleicht aus wie der Alm-Öhi, aber innen drin bin ich ein …« Nonnenmacher suchte nach einem passenden Vergleich und sagte dann »Schlangenkopffisch«, was Sepp Kastner unheimlich lustig fand. Vermutlich hatte der Chef gestern auch die spätabendliche Wiederholung der Zoosendung über die Raubfische gesehen, die bis zu einen Meter dreiundachtzig lang werden konnten. Anne dagegen konnte daran gar nichts Komisches finden. Ministerium! War Nonnenmacher verrückt geworden?
»Warum sagen’S jetzt nix?«, fuhr Nonnenmacher sie an, wobei er aber leicht verunsichert klang.
»Weil … weil«, stotterte Anne, »weil ich gar nicht weiß, worauf sie hinauswollen! Ist denn was passiert?«
»Ja«, antwortete Nonnenmacher kurz und knapp. »So etwas Intrigantes ist mir in den ganzen sechzehn Jahren, in denen ich diesen Job hier mache, nicht untergekommen.«
»Ja was denn, Kurt?«, wollte jetzt auch Kastner wissen. »Was ist denn passiert?«
»Ich bin entmachtet«, sagte Nonnenmacher, und er klang dabei wie ein bayerischer König, dem sein Kabinett handstreichartig die Regentschaft entzogen hat. Erneut probte vor dem Fenster die Möwe den Sturzflug, dieses Mal mit gellendem Schrei. Es klang beeindruckend.
»Wirst du versetzt oder was?«, fragte Kastner ratlos.
»Das wär’ ja noch schöner!«, rief der sechsundfünfzigjährige Dienststellenleiter, Bartträger, Fliegenphobiker, Hobbyliebeslyriker und Familienvater jetzt so laut, dass ein Kollege von der Bereitschaft besorgt seine Nase ins Dienstzimmer steckte und fragte, ob man Hilfe brauche.
»Du, hau bloß ab!«, brüllte Nonnenmacher ihn an und suchte Annes Blick: »Frau Loop, eines sage ich Ihnen: Ich lasse mir nicht von einer dahergelaufenen Schlampe wie Ihnen die Arbeit wegnehmen!«
»Kurt, jetzt geh!«, versuchte Kastner den wütenden Chef zu bremsen. »So was sagt man aber nicht zu einer Kollegin, die wo bis jetzt eine super Arbeit geleistet hat bei uns.«
»Und das alles wegen den Islamisten!«, schrie Nonnenmacher nun so schrill, dass sich seine Stimme überschlug. Kurz nachdem seine flache Hand ein weiteres Mal auf den Tisch niedergesaust war, klopfte es an der Wand zum Nachbarbüro, und eine weibliche Stimme rief: »Kurt, geht’s eigentlich noch?«
Nonnenmacher verdrehte die Augen und murmelte etwas Unverständliches, das sich für Anne anhörte wie: »Grutzedürckenherrgodsakramenterweibasleit.«
Kastner ließ sich durch das wütende und mit Sicherheit frauenfeindliche Gemurmel nicht davon abbringen, den Grund für Nonnenmachers Ärger herauszufinden, und fragte mit unschuldigem, beinahe erleichtert klingendem Interesse: »Ach, hat’s was mit dem Scheich zum tun?«
»Ja, so kann man das sagen!«, antwortete der leicht füllige Inspektionsleiter, nun in gedämpfterem, wenngleich noch lautem Ton. »So kann man das sagen. Diese Ölscheichs kaufen uns nicht bloß die bayerischen Fußballvereine vor der Nase weg, die zerstören auch noch unsere
Weitere Kostenlose Bücher