Aufgeflogen - Roman
kräftiger als meine Freundin, ein 1 6-jähriges Mädchen, das gerne lachte. In ihrer Gegenwart erlebte ich selbst Isabel heiterer und lockerer. Esras Lachen und ihre Sorglosigkeit wirkten ansteckend, auch auf mich, der ich inzwischen von Isabel die Eigenart übernommen hatte, immer und überall Schwierigkeiten zu vermuten und in jedem Menschen einen möglichen Verräter zu sehen. Das türkische Mädchen nahm das Leben leichter als Isabel, das tat gut.
Bei dem Fest ihrer Familie sah ich, wie Isabel mit Esra Bauchtanz übte, wie sie sich lachend in den Armen lagen. Ich bemerkte aber auch, wie der zwei Jahre ältere Mehmet meine Freundin ansah. Eifersucht stieg in mir hoch. Entsprechend versuchte ich, meine Position klarzumachen.
»Komm, wir tanzen auch«, sagte ich zu Isabel, als sie sich nach dem Bauchtanz setzen wollte.
Isabel schüttelte den Kopf. »Ich muss mich erst ein bisschen ausruhen.«
»Ich will aber tanzen!«
Nie zuvor hatte ich mich so fordernd verhalten. Ich kehrte den Macho raus, weil ich in Mehmet Konkurrenz vermutete.
»Ich tanze mit dir«, sagte Esra, nahm mich bei der Hand und zog mich auf die kleine freie Fläche in der Mitte des Zimmers. Ihre Eltern und Eugenia sowie ein paar weitere Hausbewohner saßen am Tisch, der voll war mit dem, was Mehmets Mutter aufgetragen hatte.
Eher widerstrebend tanzte ich mit Esra, ich wollte nicht ablehnen, es hätte sie gekränkt, vielleicht auch unsere Gastgeber beleidigt. Ich hatte keine Ahnung, wie man sich in so einer Situation verhielt.
Esra verwickelte mich in ein Gespräch, erzählte mir, dass sie gerne Einzelhandelskauffrau werden wollte, dass Isabel ihr half, die Bewerbungen zu schreiben, dass sie fast schon eine Stelle in Aussicht hatte, bei einem Import-Export-Händler, aber ehrlich gesagt wollte sie lieber woandershin, der Mann hatte sie angesehen, als ob er in ihr schon seine künftige Ehefrau vermutete, das war nun nicht ganz das, was sie sich für ihr Leben wünschte.
Esra lachte laut, und ich sah verunsichert auf ihre Eltern, ob es denn in Ordnung war, mit ihrer Tochter zu tanzen. Durfte ich den Arm um sie legen? Sie an mich ziehen bei jeder Drehung? Eigentlich wusste ich gar nichts über diese Menschen, ob sie streng oder liberal waren, ob ich nun etwas richtig oder falschmachte. Noch nie war ich bei einer türkischen Familie zu Gast gewesen.
Als ich meinen Blick Isabel zuwandte, zuckte ich unwillkürlich zusammen. Mehmet stand vor ihr, nahm ihre Hand. Sie stand auf, ging auf die winzige Tanzfläche, die mit Esra und mir eigentlich schon voll genug war, und sie tanzte mit ihm. Ich sah den triumphierenden Blick meines Widersachers, das scheue Lächeln meiner Freundin. Ich fühlte Wut, ich, der nette, beherrschte, immer lockere, immer coole Christoph. Gerne hätte ich mich mit Mehmet geprügelt. Aber es war lächerlich, sagte mein Kopf. Unhöflich auch, schließlich war ich hier zu Gast. Und außerdem hätte ich sowieso verloren, er war stark, sportlich, durchtrainiert und größer als ich.
Also brachte ich wohl oder übel den Tanz mit Esra zu Ende und setzte mich dann mit ihr, ließ mir von ihrem Vater etwas Raki einschenken und merkte, dass hier eigentlich niemand wirklich etwas mit mir anfangen konnte. Ich war ein Fremder in ihrer Welt und ich verhielt mich auch so. Isabel wusste schon, warum sie mich bei solchen Gelegenheiten nicht dabeihaben wollte.
Ich sah mir die anderen Gäste an, Isabel hatte mir ein bisschen etwas über sie erzählt, weil ich nicht aufhörte zu fragen. Die Familie von Mehmet und Esra war in der dritten Generation in Deutschland, alle konntengut Deutsch, sprachen aber zu Hause Türkisch, galten als assimiliert. Doch der Vater verdiente nicht genug, um eine andere Wohnung zu finanzieren. Seine Frau hatte ein Problem mit den Bandscheiben und deshalb aufgehört zu putzen, Mehmet war in der Ausbildung und Esra bald mit der Schule fertig.
»Wir sind mehr arm als türkisch«, sagte Mehmets Vater und lachte.
Mehmet lachte nicht. Er werde, wenn er mit der Ausbildung zum Mechatroniker fertig sei, sein eigenes Geschäft aufmachen, alle könnten dort arbeiten, Esra und die Mutter im Büro, er würde reparieren und sein Vater verkaufen. Dann würden sie auch alle zusammen in ein schöneres Haus ziehen. Der Familienbetrieb sei das beste Erfolgsmodell, nur die Deutschen hätten das nicht kapiert, weil ihnen Familie nicht wichtig sei.
»Mein Sohn will mehr türkisch als arm sein«, sagte Mehmets Vater nun und lachte
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