Aufruhr in Oxford
ins Reich der Träume und zerbrechen sich nicht weiter den Kopf.
Sie klappte das Notizheft mitsamt Skandal und Sonett zu und machte sich langsam den steilen Pfad hinunter auf den Rückweg. Auf halbem Wege begegnete sie einem kleinen Grüppchen, das heraufkam – zwei blonden kleinen Mädchen in der Obhut einer Frau, deren Gesicht ihr auf den ersten Blick nur entfernt bekannt vorkam. Im Näherkommen aber sah sie, daß es Annie war, die nur ohne Häubchen und Schürze so fremd wirkte. Sie war mit ihren Kindern auf einem Spaziergang.
Pflichtschuldig sagte ihnen Harriet guten Tag und fragte, wo sie denn jetzt wohnten.
«Wir haben eine sehr nette Familie in Headington gefunden, Madam, vielen Dank. Jetzt in den Ferien wohne ich selbst dort. Das sind meine Kinder – hier ist Beatrice, und das ist Carola. Sagt Miss Vane guten Tag.»
Harriet gab den Kindern mit ernstem Gesicht die Hand und fragte, wie alt sie seien und wie es ihnen gehe.
«Wie schön für Sie, die Kinder jetzt so nah bei sich zu haben.»
«Ja, Madam. Ich wüßte auch nicht, was ich ohne sie täte.» Den Stolz und die Freude in Annies Gesicht hätte man fast trotzig nennen können. Harriet erblickte da mit einemmal eine elementare Leidenschaft, die sie bei ihren eben angestellten Überlegungen sozusagen übersehen hatte; die Erkenntnis schoß ihr durch die schöne Sonettstimmung wie ein unheildrohender Meteor.
«Sie sind ja alles, was ich noch habe – nachdem ich ihren Vater verloren habe.»
«Ach ja, mein Gott», sagte Harriet leicht betreten. «Ist er – wie lange ist das her, Annie?»
«Drei Jahre, Madam. Er wurde dazu getrieben. Man hat ihm vorgeworfen, er hätte etwas getan, was er nicht durfte, und das hat ihm schwer auf der Seele gelegen. Aber mir war das gleich. Er hat nie einem Menschen etwas Böses getan, und schließlich muß ein Mann in erster Linie an Frau und Familie denken, nicht wahr? Ich hätte jederzeit gern mit ihm gehungert und mir die Finger wund gearbeitet, um die Kinder zu ernähren. Aber er konnte nicht darüber hinwegkommen. Die Welt ist grausam gegen einen, der seinen Weg erst machen muß, und gegen soviel Konkurrenz.»
«Ja, das ist wahr», sagte Harriet. Beatrice, das ältere Töchterchen, sah mit einem Blick zu ihrer Mutter auf, der für ihre acht Jahre allzu verständig war. Besser, man brachte das Gespräch von den Fehlern und Schwächen ihres Mannes wieder ab, worum es sich dabei auch immer handeln mochte. Sie murmelte etwas vor sich hin, daß doch die Kinder ihr ein großer Trost sein müßten.
«O ja, Madam. Es geht nichts über eigene Kinder. Sie machen einem das Leben lebenswert. Beatrice ist ihrem Vater wie aus dem Gesicht geschnitten, nicht wahr, mein Schatz? Es hat mir leid getan, daß ich keinen Sohn hatte, aber jetzt bin ich froh darum. Es ist schwierig, einen Jungen ohne seinen Vater großzuziehen.»
«Und was wollen Beatrice und Carola einmal werden, wenn sie groß sind?»
«Ich hoffe, daß sie brave Mädchen werden, Madam, und gute Frauen und Mütter – dazu will ich sie erziehen.»
«Ich will ein Motorrad fahren, wenn ich größer bin», sagte Beatrice und schüttelte zur Bekräftigung ihre Locken.
«O nein, mein Schatz. Was diese Kinder nicht alles reden, nicht wahr, Madam?»
«Doch, ich will», sagte Beatrice. «Ich will ein Motorrad fahren und eine Werkstatt haben.»
«Unsinn», sagte die Mutter leicht verstimmt. «Sag doch nicht so etwas. Das ist etwas für einen Jungen.»
«Aber heutzutage ergreifen viele Mädchen Jungenberufe», sagte Harriet.
«Das sollten sie aber nicht, Madam. Es gehört sich nicht. Die Jungen haben es so schon schwer genug, Arbeit zu finden. Bitte setzen Sie ihnen solche Dinge nicht in den Kopf, Madam. Du bekommst nie einen Mann, Beatrice, wenn du in einer Werkstatt arbeitest und ganz häßlich und schmutzig wirst.»
«Ich will auch keinen Mann», sagte Beatrice bestimmt. «Ich will viel lieber ein Motorrad.»
Annie machte ein ärgerliches Gesicht, lachte dann aber, als Harriet lachte.
«Eines Tages wird sie’s schon begreifen, nicht wahr, Madam?»
«Sehr wahrscheinlich», sagte Harriet. Wenn diese Frau der Meinung war, daß irgendein Mann besser war als gar keiner, war es sinnlos, sich mit ihr zu streiten. Und sie hatte sich eigentlich auch angewöhnt, allen Diskussionen, die sich um Männer und Ehe drehten, aus dem Weg zu gehen. Sie verabschiedete sich freundlich und ging weiter, ein wenig aus der Stimmung gebracht, aber doch nicht allzusehr. Man unterhielt
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