Aufruhr in Oxford
würde mich kein bißchen wundern, wenn Ihr Pferdchen aus dem Rennen ausscheidet, Miss Vane. Es kommt mir arg nervös vor.»
«Wie ärgerlich!» meinte Harriet. «Vielleicht sollte ich mein Los schnell verkaufen, solange ich noch einen guten Preis dafür bekomme. Ich halte es mit Edgar Wallace: ‹Gebt mir ein schönes, dummes Pferd, das seinen Hafer frißt.› Wer bietet für Newland?»
«Was ist mit der Newland?» wollte Miss Shaw wissen, die eben dazukam. Man trank gerade Kaffee im Dozentengarten. «Übrigens, Miss Martin, könnten Sie nicht mal eine Verordnung über das Herumsitzen auf dem Rasen im Neuen Hof aushängen? Ich mußte schon wieder zwei Teekränzchen verscheuchen. Wir können den Neuen Hof nicht zum Strand von Margate werden lassen.»
«Gewiß nicht. Die wissen auch ganz genau, daß es nicht erlaubt ist. Warum sind Studentinnen eigentlich so schlampig?»
«Weil sie so darauf aus sind, in allem genauso zu sein wie die Männer», sagte Miss Hillyard bissig. «Aber ich stelle fest, daß die Ähnlichkeit beim Respekt vor dem Collegerasen aufhört.»
«Sogar Sie müssen also zugeben, daß auch Männer ihre Tugenden haben», meinte Miss Shaw.
«Mehr Tradition und Disziplin, weiter nichts», erwiderte Miss Hillyard.
«Ich weiß nicht», sagte Miss Edwards. «Ich glaube, Frauen sind von Natur aus schlampiger. Das ist die angeborene Picknickmentalität.»
«Es ist doch einfach schön, bei diesem herrlichen Wetter in der frischen Luft zu sitzen», meinte Miss Chilperic versöhnlich (ihre eigene Studentenzeit lag noch nicht so lange zurück), «und da denken sie eben nicht daran, wie das aussieht.»
«Bei heißem Wetter», sagte Harriet, indem sie ihren Stuhl in den Schatten rückte, «sind Männer so vernünftig, im Haus zu bleiben, wo es kühler ist.»
«Männer lieben eben Mief», fand Miss Hillyard.
«Stimmt», sagte Miss Shaw. «Aber was sagten Sie vorhin über die Newland? Sie wollten doch nicht etwa Ihr Los verkaufen, Miss Vane? Glauben Sie mir, sie ist eine heiße Favoritin. Sie ist unsere Latymer-Stipendiatin, und ihre Leistungen sind hervorragend.»
«Jemand meinte, sie verweigert das Futter und werde möglicherweise gar nicht an den Start gehen.»
«Das ist nicht nett», entrüstete sich Miss Shaw. «Niemand hat das Recht, so etwas zu behaupten.»
«Ich finde, sie sieht gehetzt und nervös aus», sagte die Quästorin. «Sie arbeitet zuviel und nimmt alles zu genau. Hoffentlich steigert sie sich nicht noch in eine Prüfungspsychose hinein, wie?»
«An ihrer Arbeit ist nichts auszusetzen», sagte Miss Shaw. «Gewiß, sie sieht ein bißchen blaß aus, aber das wird die plötzliche Hitze sein.»
«Vielleicht sorgt sie sich auch wegen irgend etwas zu Hause», mutmaßte Mrs. Goodwin. Sie war am 9. Mai ins College zurückgekehrt, nachdem sich der Zustand ihres Jungen gebessert hatte, wenngleich er noch nicht über den Berg war. Sie sah besorgt und mitfühlend drein.
«Das hätte sie mir bestimmt gesagt», antwortete Miss Shaw.
«Ich rege meine Studentinnen dazu an, sich mir anzuvertrauen. Gewiß ist sie sehr zurückhaltend, aber ich habe mein Bestes getan, sie aus der Reserve zu locken, und bin sicher, ich hätte davon gehört, wenn sie etwas auf dem Herzen hätte.»
«Nun ja», meinte Harriet, «ich muß dieses Pferd jedenfalls mal sehen, bevor ich entscheide, was ich mit meinem Los mache. Jemand muß sie mir mal zeigen.»
«Sie sitzt wohl zur Zeit in der Bibliothek», sagte die Dekanin.
«Ich habe sie kurz vor dem Mittagessen dahin abziehen sehen – wie gewöhnlich hat sie das Essen wieder ausfallen lassen. Beinahe hätte ich sie angesprochen. Kommen Sie, wir spazieren mal hin, Miss Vane. Wenn sie da ist, jage ich sie zu ihrem eigenen Besten hinaus. Ich muß dort sowieso noch etwas nachschlagen.»
Harriet stand lachend auf und schloß sich der Dekanin an.
«Manchmal glaube ich», sagte Miss Martin, «Miss Shaw bekäme von ihren Studentinnen mehr anvertraut, wenn sie nicht immer so in ihren Seelchen herumstocherte. Sie legt Wert darauf, daß man sie mag, und das halte ich eigentlich für einen Fehler. Mein Motto ist, sei freundlich, aber laß sie in Ruhe. Die Schüchternen ziehen sich in ihr Schneckenhaus zurück, wenn man in sie dringt, und die Egoistischen reden einen Haufen dummes Zeug, nur um auf sich aufmerksam zu machen. Aber jeder hat nun mal seine eigene Methode.»
Sie stieß die Bibliothekstür auf, hielt in der ersten Nische an, um in einem Buch ein Zitat nachzuschlagen,
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