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Aufruhr in Oxford

Aufruhr in Oxford

Titel: Aufruhr in Oxford Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dorothy L. Sayers
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Kanu, wie um sein Leben paddelnd; noch ein Puntkahn, im Trauermarschtempo von einem flüsternden jungen Paar gestakt; danach ein Sportruderboot mit einer Gruppe erhitzter, energischer junger Mädchen an den Riemen; dann wieder ein Kanu, von zwei kanadischen Studenten im Knien gepaddelt; ein sehr kleines Kanu wurde riskant von einem kichernden Mädchen im Badeanzug vorwärtsbewegt, spöttisch begutachtet von einem jungen Mann im Bug, dessen Kleidung und sonstige Haltung verrieten, daß er mit einem unfreiwilligen Bad rechnete; dann eine sittsame und korrekt gekleidete Gesellschaft in einem Puntkahn – Studentinnen und Studenten, die einer Professorin eine Freude machten; ein Ruderkahn mit Insassen beiderlei Geschlechts und jeden Alters und einem Grammophon, das Liebe im Mai dudelte – Londoner auf einem Ausflug; schrille Rufe eilten einer ausgelassenen Mädchengesellschaft voraus, die einer Novizin das Staken beizubringen schien; dann im komischen Gegensatz dazu ein sehr beleibter Mann mit blauem Anzug und Leinenhut, der sich mit ernster Miene allein in einem Ruderzweier fortbewegte, und ein schlanker, einsamer junger Mann, der ihn in einem Einer verächtlich überholte; als nächstes drei Puntkähne nebeneinander, deren Insassen alle zu schlafen schienen, bis auf die für Stake und Paddel Verantwortlichen. Einer davon kam auf Paddellänge an Harriet vorbei. Darin lag mit angezogenen Knien ein ungekämmter, dicklicher junger Mann mit leicht geöffnetem Mund, das Gesicht gerötet von der Hitze; an seiner Schulter lehnte ein Mädchen, während der Mann am anderen Ende, den Hut übers Gesicht gezogen und die Hände über der Brust gefaltet, die Daumen unter die Hosenträger gehakt, ebenfalls alles Interesse an der Außenwelt aufgegeben hatte. Ein vierter Passagier, ein Mädchen, aß Süßigkeiten. Die Stakerin trug einen zerknitterten Baumwollrock, und ihre nackten Beine waren von Mücken zerstochen. Harriet fühlte sich an ein Dritter-Klasse-Abteil in einem Ausflüglerzug an einem heißen Tag erinnert: Es war fatal, in der Öffentlichkeit einzuschlafen; und wie verführerisch, etwas nach dem dicken Jüngling zu werfen! In diesem Augenblick drehte die Nascherin ihre Tüte mit den restlichen Süßigkeiten zu einem festen Knäuel zusammen und warf es nach dem Jüngling. Sie traf ihn mitten auf dem Bauch, und er erwachte mit einem lauten Schnarcher. Harriet nahm eine Zigarette aus ihrem Etui und wollte sich an ihren Begleiter um Feuer wenden. Er war eingeschlafen.
    Er schlief sittsam und geräuschlos; seine Haltung hatte etwas von einem Igel und bot weder Mund noch Bauch als Ziel für Wurfgeschosse an. Aber kein Zweifel: Er schlief. Und da saß nun Miss Harriet Vane, ganz plötzlich von Mitgefühl gepackt, wagte sich nicht zu rühren, um ihn nicht aufzuwecken, und bekam eine große Wut auf eine Bootsladung voller Idioten, deren Grammophon (zur Abwechslung) Liebe im Mai brüllte.
    «Wie wunderbar», sagt der Dichter, «ist der Tod, der Tod und sein Bruder Schlaf!» Und nachdem er gefragt hat, ob Janthe wieder aufwachen wird, und ihm dies versichert wurde, gibt er im folgenden viele schöne Gedanken über Janthes Schlaf zum besten. Woraus wir mit einer gewissen Berechtigung schließen können, daß er (wie Henry, der stumm neben ihrem Sofa kniet) zärtliche Gefühle für Janthe hegt. Denn der Schlaf eines anderen Menschen ist der Prüfstein für unsere eigenen Empfindungen. Auf den Tod, ob des Freundes oder des Feindes, reagieren wir, sofern wir keine ausgesprochenen Barbaren sind, mit Sanftheit. Er ärgert uns nicht; er reizt uns nicht, Dinge nach ihm zu werfen; wir finden ihn auch nicht komisch. Tod ist die letztendliche Schwachheit, und wir wagen ihrer nicht zu spotten. Schlaf hingegen ist nur eine Illusion von Schwachheit, und sofern er nicht an unsere Beschützerinstinkte appelliert, erweckt er in uns offenbar eine häßliche Lust am Quälen. Aus der überlegenen Höhe unseres Wachseins blicken wir hinab auf den Schläfer, der uns so ausgeliefert ist in all seiner Verwundbarkeit, und ergehen uns in abfälligen Äußerungen über sein Aussehen, sein Benehmen und (wenn das Ganze sich in der Öffentlichkeit abspielt) die absurde Lage, in die er seine Gefährtin gebracht hat, falls er eine hat – vor allem wenn wir selbst die Gefährtin sind.
    Harriet, so in die Rolle der Phoebe bei dem schlafenden Endymion geködert, hatte Gelegenheit zur Selbstprüfung. Nach reiflicher Überlegung entschied sie, daß ihr dringendstes

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