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Aufruhr in Oxford

Aufruhr in Oxford

Titel: Aufruhr in Oxford Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dorothy L. Sayers
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Bedürfnis im Moment eine Schachtel Zündhölzer war. Peter hatte Zündhölzer benutzt, um seine Pfeife anzuzünden. Wo waren sie jetzt? Er war auf dem Zeug eingeschlafen, zum Teufel! Aber sein Blazer lag neben ihm auf den Kissen; hatte man je erlebt, daß ein Mann nur eine Schachtel Zündhölzer in den Taschen hatte?
    An den Blazer heranzukommen, war eine knifflige Arbeit, denn der Kahn schaukelte bei jeder Bewegung, und sie mußte das Kleidungsstück über seine Knie heben; aber sein Schlaf war der tiefe Schlaf körperlicher Erschöpfung, und triumphierend kroch sie an ihren Platz zurück, ohne ihn aufgeweckt zu haben. Mit sonderbar schlechtem Gewissen durchsuchte sie seine Taschen und fand drei Schachteln Zündhölzer, ein Buch und einen Korkenzieher. Mit Tabak und Literatur war man, sofern das Buch nicht in einer unbekannten Sprache geschrieben war, jeder Situation gewachsen. Auf dem Buchrücken stand kein Titel, und als sie den abgegriffenen Kalbslederdeckel aufklappte, fiel ihr Blick als erstes auf das eingeprägte Exlibris mit dem Wappen: drei silberne Mäuse im Felde und eine drohend sprungbereite Hauskatze auf der Helmzier. Zwei bewaffnete Sarazenen trugen den Schild, unter dem das spöttisch-arrogante Motto stand: «As my Whimsy takes me» – (Wie mich die Laune lenkt). Sie blätterte zur Titelseite um. Religio Medici. Nanu! … Nanu? War das so erstaunlich?
    Warum reiste er mit so etwas herum? Füllte er etwa seine freien Minuten zwischen Kriminalistik und Diplomatie mit Betrachtungen über die «seltsamen und mystischen» Verwandlungen der Seidenwürmer oder die «Schwindeleien der Wechselbälger» aus? Oder mit Überlegungen darüber, wie wir «vergebens die Wut der Kanonen und die neuen Erfindungen des Todes anklagen»? – «Sicherlich ist kein Glück in dieser fleischlichen Hülle; noch ist es diesen Augen gegeben, Glückseligkeit zu schauen. Unser erster Freudentag ist der Tod.» Sie wollte lieber nicht annehmen, daß er dies auf seine Person bezog; sie zog es vor, ihn geborgen und glücklich zu sehen, damit sie an seiner glücklichen Geborgenheit Anstoß nehmen konnte. Flüchtig blätterte sie in den Seiten herum. «Bin ich ihm fern, so bin ich tot, bis ich ihm nahe bin. Vereinte Seelen sind nicht zufrieden mit Umarmungen, sondern verlangen danach, wahrhaft eine die andere zu sein; da dies jedoch nicht möglich ist, muß ihr Verlangen endlos sein und weiterbestehen ohne Aussicht auf Erfüllung.» Das war eine sehr beunruhigende Passage, von welcher Seite man sie auch betrachtete. Sie blätterte zurück zur ersten Seite und begann jetzt richtig zu lesen, ihr kritisches Augenmerk auf Sprache und Stil gerichtet, um die Oberströmungen ihres Geistes zu beschäftigen und sich nicht zu eingehend damit befassen zu müssen, was unter der Oberfläche vorgehen mochte.
    Die Sonne wanderte am Himmelsgewölbe hinunter, und die Schatten auf dem Wasser wurden länger. Es waren jetzt auch weniger Boote auf dem Fluß. Die Nachmittagsausflügler eilten nach Hause zum Abendessen, und die Abendausflügler waren noch nicht unterwegs. Endymion schien sich für die Nacht eingerichtet zu haben: es war jetzt wirklich an der Zeit, Hartherzigkeit zu zeigen und die Stake in die Hand zu nehmen. Sie schob es noch von Sekunde zu Sekunde weiter hinaus, bis ein spitzer Schrei und ein kräftiger Stoß gegen den Kahn ihr die Entscheidung abnahmen. Die Anfängerin von vorhin war mit ihrem Gefolge zurückgekommen und hatte ihre Stake in der Flußmitte verloren und den Kahn gegen ihr Heck treiben lassen. Harriet stieß die Störenfriede mit mehr Kraft als Mitgefühl in den Fluß zurück, und als sie sich umdrehte, saß ihr Gastgeber im Kahn und grinste sie recht einfältig an.
    «Habe ich geschlafen?»
    «Mindestens zwei Stunden», antwortete Harriet mit zufriedenem Lachen.
    «Du lieber Gott, was für abscheuliche Manieren! Ich bitte vielmals um Entschuldigung. Warum haben Sie nicht einfach mal kräftig gebrüllt? Wieviel Uhr ist es? Ach, Sie Ärmste, Sie kriegen heute kein Abendessen mehr, wenn wir uns nicht beeilen. Also, ich bitte wirklich untertänigst um Verzeihung.»
    «Aber es macht doch nichts. Sie waren so schrecklich müde.»
    «Das ist keine Entschuldigung.» Er war aufgestanden und zog die Staken aus dem Schlamm.
    «Wir können es schaffen, wenn wir gemeinsam staken – falls Sie mir die Unverfrorenheit nachsehen, daß ich Sie auch noch arbeiten lassen will, um die Folgen meiner beispiellosen Faulheit

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