Aufruhr in Oxford
diese Zeit. Und dann habe ich einen Schatten am Vorhang gesehen, als wenn da drinnen jemand herumginge.»
«Die Vorhänge waren also zugezogen?»
«Ja, Madam, aber sie sind ja nur aus hellem Gardinenstoff, und darum konnte ich den Schatten ganz deutlich sehen. Ich habe eine Weile zugeschaut, und dann verschwand der Schatten, aber das Licht blieb an, und das fand ich komisch. Da habe ich dann also Carrie geweckt und nach dem Schlüssel gefragt, damit ich mal hingehen und nachsehen konnte, falls da etwas nicht stimmte. Sie hat das Licht dann auch gesehen. Und ich habe gesagt: ‹Komm doch mit, Carrie; ich mag da nicht allein hingehen.› Und Carrie ist dann mit mir hingegangen.»
«Sind Sie durch den Speisesaal oder über den Hof gegangen?»
«Über den Hof, Madam. Wir dachten, das geht schneller. Über den Hof und durch das Eisentor. Und dann haben wir versucht, durchs Fenster zu sehen, aber das war fest geschlossen und der Vorhang dicht zugezogen.»
Sie waren jetzt aus dem Tudor-Bau heraus; auf den Korridoren war es ganz still gewesen. Auch auf dem Alten Hof schien nichts los zu sein. Der Bibliotheksflügel lag im Dunkeln, bis auf eine Lampe hinter Miss de Vines Fenster und dem matten Schimmer der Korridorlampen.
«Als wir an die Hörsaaltür kamen, war sie verschlossen, und der Schlüssel steckte; ich habe mich nämlich gebückt, um durchs Schlüsselloch zu sehen, und sah überhaupt nichts. Und dann fiel mir auf, daß der Vorhang an der Tür nicht ganz zugezogen war – es ist ja nur eine Glasrahmentür, wie Sie wissen, Miss. Ich habe also durch den Spalt geguckt, und da sah ich etwas ganz in Schwarz, Madam. Ich hab gesagt: ‹Mensch, da ist es!› Und Carrie hat gesagt: ‹Laß mich auch mal sehen›, und dabei hat sie mich ein bißchen angestoßen, und ich bin mit dem Ellbogen an die Tür gekommen, und das muß es erschreckt haben, denn daraufhin ging das Licht aus.»
«Ja, Miss», bestätigte Carrie eifrig. «Und ich hab gesagt: ‹Na so was!› – und dann hat’s drinnen einen lauten Krach gegeben – schrecklich war das, und irgendwas hat gepoltert, und ich hab gerufen: ‹O Gott, es kommt uns nach!›»
«Und dann habe ich zu Carrie gesagt: ‹Lauf mal schnell und hol die Dekanin! Wir haben es hier drinnen.› Und Carrie ist zur Dekanin gelaufen, und ich hab das da drinnen noch herumschleichen hören und dann nichts mehr.»
«Und dann ist die Dekanin gekommen, und wir haben ein bißchen gewartet, und ich hab gesagt: ‹Ogottogott! Meinen Sie, es liegt jetzt da drinnen mit durchgeschnittener Kehle?› Und die Dekanin hat gemeint: ‹Aber nein, wie dumm wir doch waren! Inzwischen wird es zum Fenster hinausgestiegen sein.› – ‹Aber die Fenster sind doch alle vergittert›, sag ich, und die Dekanin sagt: ‹Es ist sicher zum Dunkelkammerfenster hinausgestiegen.› Die Dunkelkammertür war aber auch verschlossen, und da sind wir außen herum gerannt, und siehe da, das Dunkelkammerfenster stand weit offen. Da hat die Dekanin gesagt: ‹Holen Sie Miss Vane›, und da sind wir zu Ihnen gekommen, Miss.»
Inzwischen hatten sie die Ostecke des Neuen Hofs erreicht, wo Miss Martin stand und wartete.
«Ich fürchte, unser Gespenst ist weg», sagte Miss Martin. «Wir hätten früher an dieses Fenster denken sollen. Ich habe einen Rundgang über den Hof gemacht, aber ich konnte nichts Ungewöhnliches entdecken. Hoffen wir, daß diese Kreatur wieder zu Bett gegangen ist.»
Harriet nahm die Tür in Augenschein. Sie war in der Tat von innen abgeschlossen, und der Vorhang vor der Glasscheibe war nicht ganz zu. Aber drinnen war alles dunkel und still.
«Was macht Sherlock Holmes jetzt?» wollte die Dekanin wissen.
«Ich denke, wir gehen mal hinein», meinte Harriet. «Sie haben nicht zufällig so etwas wie eine lange, dünne Zange da? Nein? Na ja, man kann auch ebensogut die Scheibe einschlagen.»
«Verletzen Sie sich nicht.»
Wie oft, dachte Harriet, hatte Robert Templeton, ihr Meisterdetektiv, schon Türen eingeschlagen, um dahinter die Leiche des ermordeten Finanziers zu finden! Mit dem lächerlichen Gefühl, eine Rolle vorzuspielen, hielt sie ein Stück von ihrem Morgenmantel vor die Scheibe und schlug mit der Faust hart dagegen. Fast wunderte sie sich selbst, als die Scheibe nach innen zerbarst, ganz wie gewollt und begleitet von einem leichten Klirren. Jetzt noch einen Schal oder ein Taschentuch um Hand und Unterarm gewickelt, um sie zu schützen und keine unnötigen Fingerabdrücke auf Schlüssel und
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