Aufruhr in Oxford
Hillyard.
«Da haben Sie uns in einer Zwickmühle», sagte die Dekanin.
«Wenn wir uns jetzt für die Frauen und Kinder verwenden, können Sie sagen, daß unsere Weiblichkeit uns für die Wissenschaft untauglich macht; tun wir das nicht, können Sie sagen, unsere Bildung mache uns unweiblich.»
«Da ich Sie also in beiden Fällen beleidigen kann», sagte Wimsey, «haben Sie nichts zu gewinnen, indem Sie nicht die Wahrheit sagen.»
«Die Wahrheit ist», sagte Mrs. Goodwin, «daß niemand etwas verteidigen kann, für das es keine Verteidigung gibt.»
«Der Fall klingt sowieso ziemlich konstruiert», meinte Miss Allison wegwerfend. «Es dürfte sehr selten vorkommen, und wenn –»
«Oh, und ob das vorkommt», sagte Miss de Vine. «Es ist schon vorgekommen. Bei mir. Ich kann es Ihnen ruhig erzählen – natürlich ohne Namen zu nennen. Als ich am Flamborough College war und für die Universität von York Habilitationsschriften zu prüfen hatte, war da ein Mann, der eine sehr interessante Arbeit über ein historisches Thema eingereicht hatte. Es war sehr überzeugend abgehandelt; nur wußte ich zufällig, daß die ganze Grundthese nicht stimmte, weil in einer kaum bekannten Bibliothek irgendwo im Ausland ein Brief existierte, der sie glatt widerlegte. Ich war einmal auf der Suche nach etwas anderem darauf gestoßen. Das hätte natürlich nichts zu bedeuten gehabt, aber aus der ganzen Arbeit ging hervor, daß der Mann Zugang zu dieser Bibliothek gehabt haben mußte. Ich habe mich also erkundigt und festgestellt, daß er tatsächlich dort gewesen war und den Brief gesehen und wissentlich unterschlagen haben mußte.»
«Aber wie konnten Sie so sicher sein, daß er den Brief gesehen hatte?» fragte Miss Lydgate besorgt. «Er könnte ihn doch aus Unachtsamkeit übersehen haben. Das wäre immerhin ein Unterschied.»
«Er hatte ihn nicht nur gesehen», antwortete Miss de Vine; «er hatte ihn sogar gestohlen. Dieses Geständnis haben wir aus ihm herausbekommen. Er war auf den Brief gestoßen, als seine Arbeit schon fast fertig war, und hatte keine Zeit mehr, sie umzuschreiben. Und abgesehen davon, war es auch ein schwerer Schlag für ihn, weil er sich in seine Theorie so verliebt hatte, daß er einfach nicht davon lassen konnte.»
«Das ist leider das Kennzeichen des unsoliden Wissenschaftlers», sagte Miss Lydgate in so betrübtem Ton, wie man über eine unheilbare Krebskrankheit spricht.
«Aber jetzt kommt das Merkwürdige», fuhr Miss de Vine fort.
«Er war zwar skrupellos genug, seine falsche These stehenzulassen; aber er war ein zu guter Historiker, um den Brief zu vernichten. Er hatte ihn noch.»
«Man sollte meinen», warf Miss Pyke ein, «das müßte so weh tun, wie wenn man ständig auf einen faulen Zahn beißt.»
«Vielleicht hat er irgendwie mit dem Gedanken gespielt, den Brief später wiederzuentdecken», sagte Miss de Vine, «und damit wieder mit seinem Gewissen ins reine zu kommen. Ich weiß es nicht, und ich glaube auch nicht, daß er es selbst so genau wußte.»
«Was ist aus ihm geworden?» fragte Harriet.
«Nun, das war natürlich sein Ende. Er hat die Professur selbstverständlich nicht bekommen, und seinen Magister Artium hat man ihm auch noch aberkannt. Schade, denn auf seine Art war er ein hervorragender Wissenschaftler – und sah auch noch sehr gut aus, nebenbei gesagt.»
«Der arme Mann!» rief Miss Lydgate. «Er muß die Professur dringend nötig gehabt haben.»
«Finanziell bedeutete sie ihm sehr viel. Er war verheiratet, und es ging ihm nicht sehr gut. Ich weiß nicht, was aus ihm geworden ist. Das Ganze ist etwa sechs Jahre her. Man hat dann nichts mehr von ihm gehört. So sehr einem das leid tun konnte, da war nichts zu machen.»
«Sie hätten unmöglich anders handeln können», sagte Miss Edwards.
«Natürlich nicht. Ein derart unzuverlässiger Mensch ist nicht nur unnütz, sondern sogar gefährlich. Er ist zu allem fähig.»
«Das ist ihm wohl eine Lehre gewesen», sagte Miss Hillyard. , «Es hat sich doch nicht ausgezahlt, oder? Nehmen wir an, er hat seine Berufsehre für Frau und Kinder geopfert, von denen wir hier soviel hören – am Ende stand er dadurch noch schlechter da.»
«Aber», sagte Peter, «das kam nur daher, daß er obendrein die Sünde begangen hatte, sich erwischen zu lassen.»
«Mir scheint», begann Miss Chilperic zaghaft – und unterbrach sich.
«Ja?» fragte Peter.
«Nun», meinte Miss Chilperic, «sollte man da nicht auch die Meinung der Frauen und
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