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Aufruhr in Oxford

Aufruhr in Oxford

Titel: Aufruhr in Oxford Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dorothy L. Sayers
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«daß mein Seminar das größte am College und gewiß nicht das unbedeutendste ist –»
    Miss Chilperic wies zu Recht darauf hin, daß in diesem Jahr Englisch das Fach mit den meisten Kandidatinnen sei.
    «Das mußte natürlich kommen», sagte Miss Hillyard. «Es mögen ja dieses Jahr ein paar mehr sein – das kann schon sein –, aber wozu wir dafür gleich eine zusätzliche Englischdozentin brauchen, während ich doch auch zusehen muß, wie ich allein zurechtkomme –»
    An dieser Stelle geriet der eigentliche Anlaß des Streites in einem Nebel persönlicher Vorwürfe in Vergessenheit. Miss Chilperic mußte sich sagen lassen, sie sei unverschämt, arrogant, nachlässig bei der Arbeit, überhaupt unfähig und wolle immer im Mittelpunkt stehen. Diese völlig aus der Luft gegriffenen Vorwürfe brachten die arme Miss Chilperic völlig durcheinander. Überhaupt schien niemand etwas damit anfangen zu können, höchstens Miss Edwards, die mit grimmigem Lächeln dasaß und sich einen Pullover strickte. Schließlich griffen die Beschimpfungen von Miss Chilperic selbst auch auf Miss Chilperics Verlobten über, dessen wissenschaftliche Qualifikation einer vernichtenden Kritik unterzogen wurde.
    Miss Chilperic erhob sich zitternd.
    «Ich glaube», sagte sie, «Sie müssen völlig von Sinnen sein, Miss Hillyard. Es stört mich nicht, was Sie über mich sagen, aber ich kann es nicht dulden, daß Sie Jacob Peppercorn beleidigen.» Sie verhaspelte sich ein wenig bei diesem etwas unglücklichen Namen, und Miss Hillyard lachte hämisch. «Mr. Peppercorn ist ein hervorragender Wissenschaftler», steigerte Miss Chilperic sich immer mehr in ihren Zorn hinein wie ein gereiztes Lamm, «und ich verlange –»
    «Freut mich zu hören», sagte Miss Hillyard. «An Ihrer Stelle würde ich mich mit ihm zufriedengeben.»
    «Ich verstehe nicht, was Sie meinen», rief Miss Chilperic.
    «Vielleicht kann Miss Vane es Ihnen sagen», versetzte Miss Hillyard und ging ohne ein weiteres Wort hinaus.
    «Du meine Güte!» rief Miss Chilperic, an Harriet gewandt.
    «Wovon redet sie bloß?»
    «Ich habe nicht die mindeste Ahnung», sagte Harriet.
    «Ich weiß es auch nicht, aber ich kann es mir denken», sagte Miss Edwards. «Wenn man Dynamit in eine Pulverfabrik bringt, muß man mit einer Explosion rechnen.» Während Harriet noch in ihrem Gedächtnis kramte, woran diese Worte sie erinnerten, fuhr Miss Edwards schon fort:
    «Wenn nicht in den nächsten Tagen jemand diesem Unfug auf den Grund kommt, geschieht noch ein Mord. Wenn wir uns jetzt schon so benehmen, was soll dann erst bis zum Ende des Trimesters aus uns werden? Sie hätten von Anfang an die Polizei einschalten sollen, und wenn ich dagewesen wäre, hätte ich das auch gesagt. Ich möchte es zur Abwechslung mal mit einem braven, dummen Polizeisergeanten zu tun haben.»
    Damit erhob auch sie sich und stolzierte davon, und die übrigen Professorinnen konnten einander nur noch groß ansehen.

19. Kapitel
    O wohlgefügter Simson! Stämmiger Simson!
Ich übertreffe dich mit meinem Rapier so sehr, als du
mich im Tortragen übertrafest. Denn auch ich liebe.
    WILLIAM SHAKESPEARE
     
    Harriet hatte mit Wilfrid nur allzu recht gehabt. Sie hatte an vier Tagen immer wieder versucht, Wilfrid zu verändern, zu vermenschlichen, und heute, nachdem sie einen qualvollen Vormittag mit ihm verbracht hatte, war sie zu dem unerfreulichen Schluß gekommen, daß sie das ganze Buch von Anfang an neu schreiben mußte. Wilfrids gepeinigte Menschlichkeit stach jetzt gegenüber der Hohlheit der übrigen Figuren ab wie eine offene Wunde. Darüber hinaus war durch die Einengung seiner Motive auf das psychologisch Glaubhafte ein großer Stein aus dem Mosaik der Handlung herausgebrochen und hatte ein Loch hinterlassen, durch das man in einen gänzlich neuen, erregenden Dschungel von Intrigen blickte. Sie stand gedankenverloren vor dem Antiquitätengeschäft. Wilfrid wurde immer mehr zu einer dieser begehrten elfenbeinernen Schachfiguren. Man erforschte sein Inneres und entdeckte eine fein verästelte, kunstvoll geschnitzte Welt von Gefühlen, und drehte man die Figur in den Fingern, entdeckte man noch ein anderes Inneres und darin wieder ein anderes.
    Hinter dem Tisch mit den Schachfiguren stand eine alte dunkle Eichentruhe, und wie Harriet noch durch das Fenster starrte, traten auf dem dunklen Hintergrund plötzlich ein paar helle menschliche Gesichtszüge hervor wie ein Gespenst.
    «Was darf es sein?» fragte Peter über

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