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Aufruhr in Oxford

Aufruhr in Oxford

Titel: Aufruhr in Oxford Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dorothy L. Sayers
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erschrocken sein, zumal als sie sah, daß sie die Falsche erwischt hatte. Als Sie sich nicht mehr wehrten, muß sie an Ihnen herumgefühlt und festgestellt haben, daß Sie nicht Miss de Vine waren – kurzes Haar und keine Brille –, und daraufhin ist sie dann schnell verschwunden, um die Blutflecken loszuwerden, bevor jemand kam. Das ist zumindest seine Theorie. Er hat ein recht sonderbares Gesicht dabei gemacht.»
    «Ist er jetzt hier?»
    «Nein, er mußte wieder fort … Er sagte etwas von einem frühen Flugzeug ab Croydon. Ein furchtbares Theater hat er gemacht, als er hier anrief, aber offenbar war das alles schon arrangiert, und er mußte eben fort. Wenn seine Gebete erhört worden sind, hat heute morgen in der ganzen Regierung niemand mehr eine heile Stelle am Leib. Ich habe ihn mit heißem Kaffee getröstet, und er ist abgefahren, nachdem er noch die strikte Anweisung hinterlassen hatte, weder Sie noch Miss de Vine noch Annie auch nur einen einzigen Moment aus den Augen zu lassen. Seitdem hat er einmal aus London und dreimal aus Paris angerufen.»
    «Armer Peter!» meinte Harriet. «Er kommt anscheinend überhaupt nicht mehr zum Schlafen.»
    «Inzwischen gibt die Rektorin kühn die Parole aus, jemand habe Annie einen dummen Streich gespielt, Sie seien unglücklich ausgerutscht und hätten sich den Kopf angeschlagen, und Miss de Vine habe beim Anblick von Blut einen Schock bekommen. Und die Collegetore bleiben allen Fremden verschlossen, weil es verkleidete Zeitungsleute sein könnten. Aber man kann den Hausmädchen nicht den Mund verbieten – weiß der Himmel, was für Gerüchte schon alles durch den Lieferanteneingang hinausgegangen sind. Na ja, es ist jedenfalls ein großes Glück, daß niemand umgekommen ist. Aber jetzt muß ich fort, sonst bringt die Krankenschwester mich um, und dann haben wir doch noch einen Mordprozeß am Hals.»
     
    Am nächsten Tag kam Lord Saint-George. «Jetzt bin ich an der Reihe mit dem Krankenbesuch», sagte er. «Eine liebe, bequeme Adoptivtante sind Sie mir ja nicht gerade. Ist Ihnen klar, daß Sie mich um eine Einladung zum Essen gebracht haben?»
    «Ja», sagte Harriet. «Jammerschade. Ich sollte es wohl der Dekanin sagen. Vielleicht könnten Sie nämlich die Betreffende –»
    «Nun fangen Sie nicht schon wieder an, Ränke zu schmieden, sonst steigt Ihr Fieber», meinte er. «Überlassen Sie das Onkel Peter. Er sagt übrigens, daß er morgen wieder hier sein wird und daß die Beweise schön anrollen und Sie stillhalten und sich keine Sorgen machen sollen. Ehrenwort. Ich habe heute früh mit ihm telefoniert. Er ist fuchsteufelswild. Das in Paris hätte jeder andere auch machen können, sagt er, aber die hätten sich nun mal in den Kopf gesetzt, daß er der einzige sei, der irgendeinem störrischen alten Maultier, das besänftigt oder versöhnt werden mußte, Brei um den Mund schmieren könne. Soweit ich es verstehe, ist irgendein obskurer Journalist umgebracht worden, und jemand versucht daraus einen internationalen Zwischenfall zu machen. Deswegen das ganze Theater. Ich sagte Ihnen ja schon, daß Onkel Peter ein hochentwickeltes Verantwortungsgefühl hat; jetzt sehen Sie es in Aktion.»
    «Nun, da hat er vollkommen recht.»
    «Was sind Sie für eine unnatürliche Frau! Hiersein müßte er jetzt und ins Kissen weinen und die internationale Lage in die Binsen gehen lassen.» Lord Saint-George lachte. «Am Montagmorgen wäre ich ja gern mit ihm unterwegs gewesen. Fünf Strafzettel hat er auf der Rundreise Warwickshire – Oxford – London eingeheimst. Meine Mutter wird beglückt sein. Was macht Ihr Kopf?»
    «Dem geht’s ganz gut. Es war mehr die Platzwunde als der Schlag, glaube ich.»
    «O ja, Kopfwunden bluten ganz schön, nicht? Wie ein gestochenes Schwein. Aber immerhin leben Sie noch. Das schönste Begräbnis taugt nichts, wenn man die Leiche ist. Und wenn erst die Nähte draußen sind, ist alles wieder in Ordnung. Sie sehen nur auf der einen Seite ein bißchen nach Sträfling aus. Vielleicht sollten Sie sich rundum rasieren lassen, der Symmetrie halber. Onkel Peter kann die abgelegten Locken dann am Herzen tragen.»
    «Nun reicht’s aber», sagte Harriet. «Er ist ja nicht aus dem vorigen Jahrhundert.»
    «Aber er altert rapide. Ich würde sagen, er geht inzwischen auf die Sechzig zu. Mit schönen goldenen Schläfen. Ich finde wirklich, Sie sollten sich seiner erbarmen, bevor seine Knochen zu knirschen anfangen und die Spinnen ihre Netze über seine Augen

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