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Aufruhr in Oxford

Aufruhr in Oxford

Titel: Aufruhr in Oxford Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dorothy L. Sayers
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Ihnen im Auftrag Ihres Neffen, der leider –»
    Als dieser Brief fertig war, erweckte er den Eindruck, als ob sie vom Onkel wie vom Neffen überhaupt nichts hielte und ängstlich darauf bedacht wäre, sich aus ihren Angelegenheiten so weit wie eben möglich herauszuhalten.
    Sie zerriß auch diesen Brief, verwünschte noch einmal die Studentinnen und begann mit dem dritten Versuch.
    Der entpuppte sich, als er fertig war, als ein rührendes, ja sogar leidenschaftliches Plädoyer für den jungen Sünder, drückte aber sehr wenig von der Dankbarkeit und Reue aus, die zu übermitteln ihr aufgetragen war. Der vierte Entwurf schlug ins andere Extrem um und war schlicht geschmacklos.
    «Was ist denn nur um Himmels willen mit mir los?» schimpfte sie laut. «(Zum Henker mit dieser lärmenden Brut!) Seit wann kann ich ein vorgegebenes Thema nicht mehr ganz normal abhandeln?»
    Nachdem sie ihre Schwierigkeiten einmal in diese simple Frage gefaßt hatte, konnte ihr Intellekt sich unvoreingenommen dem Problem zuwenden und wartete schon bald mit der Antwort auf:
    «Weil du es formulieren kannst, wie du willst, es wird auf jeden Fall seinen Stolz schwer verletzen.»
    Antwort als richtig erkannt.
    Was sie ihm mitzuteilen hatte, war dem Sinne nach dies: Ihr Neffe hat sich dumm und unehrenhaft verhalten, und ich weiß darüber Bescheid. Er kommt nicht gut mit seinen Eltern aus, und das weiß ich auch. Er hat mich in sein und darüber hinaus in Ihr Vertrauen gezogen, und darauf habe ich kein Anrecht. Kurzum, ich weiß einiges, was Sie mich wohl lieber nicht wissen lassen möchten, aber Sie können nicht das mindeste dagegen tun.
    Sie hatte zum erstenmal, seit sie sich kannten, die Oberhand über Peter Wimsey und konnte seine aristokratische Nase in den Schmutz drücken, wenn sie wollte. Da sie fünf Jahre auf eine solche Gelegenheit gewartet hatte, wäre es jetzt schon sonderbar gewesen, wenn sie nicht ganz schnell Gebrauch davon gemacht hätte.
    Langsam und mit äußerster Sorgfalt ging sie an den Entwurf Nr. 5.
     
    «Lieber Peter,
    ich weiß nicht, ob Sie wissen, daß Ihr Neffe im Krankenhaus liegt und sich von den Folgen eines Autounfalls erholt, der schlimm hätte ausgehen können. Er hat die rechte Schulter ausgerenkt und böse Platzwunden am Kopf; aber er erholt sich ganz gut und kann von Glück reden, daß er noch einmal davongekommen ist. Wie es aussieht, ist er gegen einen Telegrafenmast geschleudert. Genaues weiß ich nicht, aber vielleicht wurden Sie schon von seinen Eltern benachrichtigt. Ich bin ihm vor einigen Tagen zufällig begegnet und habe von dem Unfall erst heute erfahren, als ich ihn besuchen wollte.»
     
    So weit, so gut; jetzt kam der schwierigere Teil.
     
    «Da er ein Auge verbunden hatte und das andere geschwollen war, hat er mich gebeten, ihm den Brief vorzulesen, den er gerade von Ihnen bekommen hatte. (Bitte fürchten Sie nicht um sein Augenlicht – ich habe die Schwester gefragt, es handelt sich nur um Schnittwunden und Blutergüsse.) Da seine Eltern heute morgen schon Oxford verlassen haben, war sonst niemand da, der ihm den Brief hätte vorlesen können. Er kann auch nicht gut eigenhändig schreiben und hat mich darum gebeten, Ihnen die beiliegenden kurzen Zeilen zu schicken und Ihnen mitzuteilen, daß er Ihnen sehr dankbar ist und es ihm außerordentlich leid tut. Er weiß Ihr Vertrauen zu schätzen und wird, sowie er dazu in der Lage ist, gewissenhaft tun, worum Sie ihn gebeten haben.»
     
    Sie hoffte, daß darin nichts enthalten war, was ihn kränken konnte. Zuerst hatte sie schreiben wollen: «ehrenhaft tun», aber dann hatte sie dieses Wort wieder gestrichen. Von Ehre sprechen hieß das Gegenteil andeuten. Ihr Bewußtsein schien zu einem gänzlich bloßliegenden Nervenzentrum geworden zu sein, empfindsam für die leiseste Andeutung von versteckten Anzüglichkeiten in ihren eigenen Worten.
     
    «Ich bin nicht lange bei ihm geblieben, weil es ihm wirklich ziemlich schlecht ging, aber man hat mir versichert, daß er auf dem Wege der Besserung sei. Er bestand darauf, die beiliegenden Zeilen selbst zu schreiben, aber ich glaube jetzt, ich hätte das nicht zulassen dürfen. Bevor ich Oxford verlasse, werde ich ihn noch einmal besuchen – nur zu meinem eigenen Vergnügen, denn er ist wirklich sehr charmant. Diese Feststellung von mir stört Sie hoffentlich nicht, aber andererseits braucht Ihnen das ja sicher nicht erst jemand zu sagen.
    Ihre Harriet D. Vane»
     
    Ich gebe mir damit ganz schön

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