Aufstand der Fischer von St. Barbara
schlafen. Hull schlief noch immer bei Kedennek. Er wurde noch immer nicht gesucht, das Dorf hatte sich um ihn herum geschlossen, er war geborgen. Kedennek schlief gleich, er war ganz erschöpf, Hull lag auf dem Rücken, in seine Lider war der Platz eingeritzt, riesengroß, schrecklich weiß – nur er war weiß, ringsherum war schon Abend –, hinten Büros, Lichter, herabgelassene Läden, alle rasten nochmal durch seinen Kopf, wie durch einen Torbogen, er schrie nochmal „Weiter!" – nochmal Fäuste und Dröhnen, und Scherben, und Heulen, und Weiter, und Rot und Immerweiter und Feuer. Dann ließ es nach, es wurde schon stiller, zuletzt war nur noch Kedenneks finsterer, gleichmäßiger Schritt neben ihm, den Berg hinauf. Dann war es innen und außen vollkommen still und dunkel. Hull dachte: Wie mich das festhält, immer hier in der Bucht, immer in diesem Loch, jetzt schon Monate. Hull richtete sich auf. Wenn er überhaupt fortwollte, mußte er jetzt fort, ohne Nachdenken. Wenn er bis morgen wartete, kam er niemals fort, niemals, das konnte er nicht verstehen, das ging nicht. Die Tür ging, Andreas kam heim, hatte erst vorausfahren wollen, legte sich nieder. Hull sagte: „Andreas!" Andreas stand auf, legte sich zu Hull. Hull sagte: „Fährst du morgen auf den Markt?" – „Ja." – „Wie lange dauert die Fahrt?" – „Fünf Stunden." – „Kannst du nicht gleich fahren, ich muß rüber." – „Ja, warum nicht." Sie schwiegen eine Weile, Andreas versuchte im Dunkeln Hulls Gesicht zu erkennen. Hull dachte, was habe ich da für einen Unsinn geschwatzt. Er hatte Lust, sich an Andreas Arm festzuhalten, am Tisch, an den Wänden, damit ihn niemand wegreißen könnte. – Wer hat das nur eben im Dunkeln gesagt, dachte er, daß ich wegwollte. Noch einer tappte, Kedennek. Er sagte: „Bleib da, Andreas, ich fahre mit Nyk. Da ist auch noch Platz für einen, da kann er mit." Hull sagte: „Laß nur, ich fahre doch nicht, das hat noch Zeit, fahr ein andermal." Kedennek zögerte, wollte noch was fragen, aber alle waren zu müde, viel zu reden.
Man hatte Nachrichten nach Blé und nach Elnor geschickt, um alle auf Sonntag zu einer Versammlung zu bringen. Seit ein paar Tagen war Polizei aus Sebastian da; sechs oder sieben jüngere Leute, die von den Reedereiangestellten bezeichnet waren, hatten sie schon nach der Stadt abgeliefert. Dieses Ereignis machte auf die Leute wenig Eindruck. Katarina Nehr, die die letzte Woche mit verheultem Gesicht herumgegangen war, schämte sich, soviel Aufebens aus einer Sache gemacht zu haben, die kurz nachher noch vielen anderen Frauen passiert war, überdies rechneten sie damit, ihre Männer über kurz oder lang zurückzuhaben. Am Sonntagmorgen erwarteten alle auf dem Markt – die Büros waren schon wieder hergerichtet – die Leute aus den umliegenden Dörfern. Zu der Winterversammlung waren sie schon am Morgen eingetroffen, jetzt war bald Mittag. Als es ihnen zu lange dauerte, zogen sie einstweilen hinauf. Sie redeten hin und her, es wurde Mittag. Nun merkten sie, daß die Auswärtigen nicht kamen. Sie hatten sich dicht gedrängt in den vorderen Teil der Schenke gesetzt und den Laden, die Treppe und den hintersten Teil für die Auswärtigen frei gelassen. Auch jetzt entschlossen sie sich nicht, auseinanderzurücken. Der leere, helle Raum, in dem sich an einer Stelle ein Haufen Menschen grundlos zusammendrückte, hatte etwas Beklommenes. Zuerst machten sie sich in Flüchen auf die Leute Luf, die zu träge oder zu feige waren, herzukommen. Dann verstummten sie. Es war hell und heiß. Hull saß unter den Leuten. Plötzlich, als ob sie sich von der Decke genau auf diesen Punkt gesenkt hätte, spürte er auf seinem Scheitel die Angst, wie eine Faust, die ihn herunterdrückte. In der vergangenen Nacht, bei Kedenneks, hatte er sich noch seiner Angst geschämt, jetzt schämte er sich nicht mehr. Die Angst kam gar nicht aus seinem Herzen, fraß nicht von innen nach außen, die Angst hatte gar nichts mit ihm zu tun, kam ganz wo anders her. Die Angst war der Schatten, den das Unglück selbst auf die Menschen wirf, wenn es so nah ist, daß man es mit der Hand berühren kann.
Alle schwiegen, das Schweigen wurde ganz starr, in so ein Schweigen mußte man mitten hineinbrechen. Hull fing zu sprechen an. Er sagte den Leuten, daß sie zusammenbleiben und kein Schiff herauslassen sollten. Die Leute rückten dicht an ihn heran und hörten aufmerksam zu. Da war er also noch immer, er sagte noch
Weitere Kostenlose Bücher