Aufstand der Gerechten
durchs Zelt schweifen. Es war groß genug für
mindestens vier Personen. »Entschuldigen Sie die Störung«, sagte ich.
Der junge Polizist wandte sich wieder Murphy zu. »Hat heute Abend
jemand getrunken, Cahir?«
»Nein, keinen Alkohol«, sagte er. »Bloß Cola und Fanta und so was.«
»Abgesehen von der Bierdose, die du als Aschenbecher benutzt«,
betonte ich.
Murphy betrachtete die Dose in seiner Hand, dann ließ er die
Zigarettenkippe hineinfallen, und sie erlosch zischend.
»Ein, zwei vielleicht«, räumte er ein. »Nicht viel. Er war nicht
betrunken oder so. Er hatte nur eine Dose getrunken.«
»Was ist ihm deiner Meinung nach passiert?«, fragte ich.
Murphy sah mich herausfordernd an. »Ich weiß nicht. Er ist einfach
verschwunden. Gerade stand er noch da, und dann war er weg.«
Ich wandte mich zu Caroline um und stellte fest, dass sie sich von
der Gruppe entfernt hatte und allein am Rand der Anhöhe stand. Sie legte die
gewölbten Hände an den Mund und begann, den Namen ihres Sohns zu brüllen, bei
diesem Wind ein aussichtsloses Unterfangen; ihre Worte waren beinahe nicht zu
verstehen, nur der angstvolle Ton ihrer Schreie war unverkennbar. Im Osten nahm
jemand ihren Ruf auf. Ich verließ das Zelt und schloss mich ihnen unwillkürlich
an. Gemeinsam erhoben sich unsere Stimmen in die eisige Nachtluft.
Eine Viertelstunde später kam der junge Polizist mit einer
Plastiktüte in der Hand zu mir.
»Kann ich Sie kurz sprechen, Sir?«
»Was kann ich für Sie tun …?« Ich hatte seinen Namen vergessen.
»McCready, Sir. Joe McCready.« Er streckte mir die Hand hin.
»Freut mich, Sie kennenzulernen, Joe McCready.« Ich schüttelte ihm
die Hand. Sie war feucht und voller Dreck.
»Verzeihung, Sir, ich habe die Mülltonnen durchsucht. Ich habe
vergessen, mir die Hände zu waschen.«
An meinem Gesichtsausdruck erkannte McCready, dass weitere
Erklärungen vonnöten waren. Unterdessen sah ich, dass sein Partner auf uns
zuschlenderte. Er zwinkerte mir verschwörerisch zu, dann nickte er McCready zu.
»Was haben Sie gefunden?«, fragte ich.
»Dreizehn Dosen, Sir, alle von derselben Marke und in derselben
Tüte. Die vierzehnte benutzt Cahir Murphy als Aschenbecher.«
Der ältere Polizist blickte mich an, der Schlafmangel war ihm
anzusehen. »Also haben sie doch was getrunken. Na und?«
»Es geht nicht ums Trinken«, sagte McCready, »sondern darum, dass er
gelogen hat. In welchem Punkt mag er noch gelogen haben? Vierzehn Dosen
scheinen mir selbst für zwei junge Burschen ein bisschen viel; zumal wenn man
bedenkt, dass Murphy nicht allzu betrunken ist. Außerdem kommt er mir nicht vor
wie jemand, der hinter sich aufräumt.«
»Wo haben Sie die gefunden?«
McCready führte Dillon und mich zum Rand einer angrenzenden Wiese,
wo eine große schwarze Mülltonne mit Rädern stand, in der die Leute, die hier
zelteten oder ihren Wohnwagen stehen hatten, ihren Müll entsorgen konnten.
Ich blickte hoch und entdeckte hinter der Wiese einen kleinen
Wohnwagenpark, in dem die Fahrzeuge in Reihen abgestellt waren. Der Park lag im
Dunkeln; die meisten Wohnwagen würden um diese Jahreszeit verlassen sein.
»Vielleicht lohnt es sich, sich das da mal anzusehen«, schlug ich
vor.
6
Die Wohnwagen parkten in neun Reihen, also nahmen wir uns jeder
drei vor. Ich durchsuchte die am weitesten vom Eingang entfernten Reihen, die
zugleich der Anhöhe am nächsten lagen, auf der Peter gezeltet hatte. Ich ging
durch die erste Reihe und sah unter jeden Wohnwagen, ehe ich an den Türen
rüttelte. Doch als ich das Ende der Reihe erreichte, schmerzte wegen des
ständigen Bückens die Wunde am Rücken wieder, und ich beschloss, mich damit zu
begnügen, dass ich prüfte, ob die Türen der Wohnwagen sich öffnen ließen.
Als ich um die Ecke zur dritten Reihe bog, fiel mir an dem
Wohnwagen unmittelbar links von mir etwas auf. Der äußere Türflansch war ein
wenig zurückgebogen, sodass der Schließriegel im Licht meiner Taschenlampe
sichtbar war. Wie ich feststellte, ließ sich die Tür mit minimalem Kraftaufwand
öffnen. Ich rief: »Hallo?«, dann trat ich ein.
Stille. Ich leuchtete mit der Taschenlampe den Innenraum ab. Das
Fahrzeug roch muffig, als wäre es schon länger nicht mehr benutzt worden. Die
Decke war niedrig, der Innenraum mit Möbeln vollgestellt.
»Jemand da?«, rief ich.
Irgendwo weiter hinten im Wagen hörte ich einen Wasserhahn tropfen.
Ich blieb einen Augenblick stehen und richtete die Taschenlampe dicht an
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