Aufstand der Gerechten
es
sei wichtig.«
»Ich passe solange auf.« Ich ließ das Fenster weiter herunter und
zündete mir eine Zigarette an. »Dass uns keine unerwünschten Elemente durch die
Lappen gehen.«
Während ich so im Auto saß und meine Zigarette genoss, rief Joe
McCready an, um mir zu sagen, dass man am Strand von Rossnowlagh eine Leiche
gefunden hatte.
10
Ein steifer, mit dem Geruch des Salzwassers gesättigter
Wind war irgendwo über dem Atlantik aufgekommen und brauste über die schweren
Wellen, welche die Leiche von Peter Williams an den Strand gespült hatten. Ein
hiesiger Arzt, der als Leichenbeschauer fungierte, nahm eine oberflächliche
Untersuchung vor, ehe er den Tod feststellte. Ich beobachtete die Brecher, die
ans Ufer schlugen, und wartete auf Caroline und ihren Mann Simon, die bereits
von Dublin hierher unterwegs waren.
Ausnahmsweise waren keine Mitarbeiter der Spurensicherung oder
Journalisten vor Ort. Mit dem Tod von Peter Williams schien kein Verbrechen
verbunden zu sein, abgesehen von dem vergeudeten Leben eines jungen Mannes, der – möglicherweise im Vollrausch – in der Dunkelheit über hundert Meter tief in
den Atlantik gefallen war. Über die Anhöhe, von der er wahrscheinlich herabgestürzt
war, hatte sich bereits ein Leichentuch aus Regen gebreitet.
Ein amerikanisches Pärchen, das von der Aussicht auf gutes Surfwetter
an die Atlantikküste gelockt worden war, hatte die Leiche eine Stunde zuvor
gefunden, als die beiden nach einem Tag auf den Brettern wieder an Land
gekommen waren. Im Augenblick saßen sie in Gesellschaft von Joe McCready, der
mich an den Fundort geleitet hatte, im Sandcastle Hotel.
Als der Arzt, ein Vertretungsarzt aus Sligo, aufstand, ging ich zu
ihm. »Gibt Sturm«, sagte er und nickte in Richtung des sich verdunkelnden
Horizonts.
»Irgendetwas Ungewöhnliches, Doktor?«, fragte ich, bot ihm eine
Zigarette an und nahm mir selbst eine.
»Nichts. Abgesehen davon, dass ein fünfzehnjähriger Bursche von
einer Klippe gestürzt ist. Sind Sie sicher, dass die Eltern ihn sehen wollen?«
Ich warf einen Blick auf die Leiche. Wenn die Kleidung nicht gewesen
wäre, hätte sich die Identifizierung als schwierig erwiesen. Als ich ihn zum
letzten Mal gesehen hatte, hatte er neben Carolines Vater auf dem Rücksitz des
Wagens seiner Großeltern gesessen. Sein Haar war weich und blond gewesen, seine
Gesichtszüge wie die von Caroline fein geschnitten, die Augen hellblau, der
Mund ein wenig schief, wenn er gelächelt hatte. Ihn jetzt so zu sehen gehörte
zu den verstörendsten Dingen, die ich je erlebt hatte. Er war natürlich größer,
als ich ihn in Erinnerung hatte, doch sein Körperbau war nicht mehr zu
erkennen, da die Leiche im Meerwasser aufgedunsen war; seine Haut war
geschwollen und runzelig, sodass sein Gesicht verzerrt war. Eines seiner Augen
war aus der Höhle gezerrt worden, vermutlich von einem Meerestier, und aus
Wangen und Hals waren Stücke seines Fleisches gerissen worden.
»Krabben«, bemerkte der Arzt, der meinem Blick gefolgt war. »Es
hätte schlimmer sein können.«
»Noch schlimmer?«
»Ich habe eine Weile in Derry gearbeitet«, erklärte er. »Da sind
fast jede Woche Leute von den Brücken gesprungen. Man gewöhnt sich daran.«
»Ich hoffe nicht.«
Mit einem Nicken deutete der Arzt auf etwas, was sich hinter mir
befand. »Vielleicht sollten Sie sie aufhalten«, schlug er vor.
Ich wandte mich um und sah Simon und Caroline Williams aus dem
Streifenwagen steigen, mit dem man sie abgeholt hatte, sobald man von dem
Leichenfund erfahren hatte. Sie kamen eilig auf uns zu, doch als sie ihren Sohn
im Sand deutlicher sehen konnten, wurden sie langsamer.
Ich ging ihnen mit ausgebreiteten Armen entgegen, in der
vergeblichen Hoffnung, ihnen die Sicht zu versperren. Caroline hatte die Arme
um den Leib geschlungen und ging ein kurzes Stück vor ihrem Mann. Ihr Gesicht
war abgehärmt und bleich, die Augen rot gerändert. Mit flehender Miene sah sie
mich wortlos an, als hoffte sie, dass ihr Sohn endlich gefunden worden war,
aber auch, dass eben das nicht der Fall war.
»Es tut mir so leid, Caroline.«
Sie ließ sich gegen mich fallen, die Fäuste ans Gesicht gepresst,
die schmalen Schultern völlig verkrampft. Simon ging weiter auf die Leiche zu,
als hätte er nicht gehört, was ich gesagt hatte.
Ohne Caroline loszulassen, legte ich ihm die Hand auf den Arm. Er
wandte sich mir zu, und in seinen Augen erblickte ich Wut und schieres
Entsetzen.
»Vielleicht lieber nicht,
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