Aufstand der Maenner
Herrlich- und Langgewandeten. In Düften erblühend, bewegten sie sich die Stufen hinab auf ihn zu.
»Glorie der Krone«, sangen sie, »sei uns gnädig, du Sohn deiner göttlichen Mutter!« In einer strengen Ordnung blieben sie dann vor ihm stehen.
»Minos!!« kam der Sang aus allen Kehlen, um dann drei Klanggruppen zu durchlaufen:
»Allgewaltiger!«
»Herr der Erdkreise und der Meere!«
»Glücklichster aller und Bringer des Glücks!«
Und nun wieder fluteten die Stimmen in einem einzigen Strom:
»Minos!! Wir grüßen dich.«
Zuletzt aber als leises Echo der Hauch einiger Mädchenstimmen :
»Herr der Liebe, wir lieben dich . . .«
Minos? Sie grüßen Minos? durchbrach ein Verwundern Garps Abgeschlossenheit, in die er sich bereits zurückgezogen hatte, wie er meinte, für ewig. Wo sei Minos? fragte er sich. Er nahm nur wahr, daß diese ganze Menge wie eine niedergehende Dünung in die Knie sank, und über ihr zwei aufrechte Gestalten: Belit und sich selbst . . . Minos jedoch sah er nicht.
Werde der schöne Jüngling erscheinen, der Gottkönig von
Kaphtor, über dessen Tanz am Altar sein Herz einst so traurig
gewesen sei ?
Garp hatte nie erfahren, welche Bewandtnis es in Wahrheit mit dem Minos habe - auch nicht von seinem geistlichen Lehrer. Für den Rheakult war Garp ein weltlicher Mann gewesen, und so wußte er zuverlässig nur, was allen bekannt war: Immer war ein Minos da, nie wurde er begraben. Immer war er jung und schön, und doch vernahm man niemals von seiner Geburt. Das war das Geheimnis der Damen höchster kultischer Grade. Wen auch immer sie Minos nannten — der war es.
Zwei Gestalten standen aufrecht: Belit und Garp. Jetzt aber näherte die Hohepriesterin sich ihm, von zwei Mädchen unter den Achseln gehalten, und beugte vor ihm das Knie.
Ihr Enkel war er gewesen.
Garparuda gab es nicht mehr.
Garp schwieg.
Er schwieg, als man ihn in den Thronsaal führte mit den zwölf Sitzen in Rot und dem des Minos. Gegenüber dem Thron senkte sich das Becken, aus dem für ganz Kaphtor das heilige Öl geschöpft wurde, tief in den Steinboden hinab. Kein Laut entfloh Garp, als man ihm Mantel und Maske nahm. Stumm stieg er hinunter in das Öl, das sein Leib heiligen sollte und dazu bestimmt war, einmal das Bad seines Todes zu werden.
Ohne ein Wort ließ er die schweren Tropfen mit Tüchern von seiner Haut abstreifen und sich die Gewänder des Minos anlegen. Auf den Thron ließ er als Gekrönter sich setzen, umringt von den Höchsten in Knossos, den Mitgliedern des Kleinen Rates, und sagte nichts, da alle Worte vorherbestimmt waren und kein einziges ihm zufiel.
Schweigend verharrte er, als ein urweltliches Stierbrüllen den Palast erschütterte, wie es aus dem Schoße Rheas bei jedem Anbruch neuer Tage des Unheils als eine Warnung für Kaphtor emporquoll.
28
»Widersprichst du deiner mütterlichen Dame, mein Sohn?« sagte Chetas Mutter mit einer bei ihrem Phlegma ungewöhnlichen Schärfe. Dame Arta hatte nach ihrer Meinung auch Grund zum Ärger. Die Unterredung dauerte bereits länger, als sie zur Entgegennahme des Befehls einer Mutter an ihren Sohn hätte währen dürfen. Aber es sei eins der Merkmale dieser schrecklichen Zeit, daß eine Neuerung nach der anderen aufkomme, empörte sich Arta. Als wenn die Lage nicht ohnehin bedrohlich genug sei.
Wenn Arta auch nicht die einzige Dame war, die derartige Sorgen bedrückten, so empfand sie den Zustand doch als schwer erträglich. Kaum hatte das verehrliche Familienoberhaupt einen Übelstand den Gesetzen der Schicklichkeit und des Anstandes angepaßt - schon tauchten drei andere auf.
Eine der beklagenswertesten Bestrebungen war es, daß die Söhne neuerdings gehört werden wollten. Nicht alle natürlich ! Die frommen und artigen blieben, Rhea sei Dank, bei ihren Schminktischen und Bändern - sie hatten ihre Launen, sosehr man sie auch verhätschelte, und konnten ihre Herrinnen gelegentlich zur Raserei bringen . . ., aber sie blieben doch an dem ihnen von der göttlichen Weisheit zugewiesenen Platz. Andere dagegen . . .
Ganz harmlos hatte es damit angefangen, daß weniger anziehende Jünglinge, die nicht dazu geschaffen schienen, in der Gesellschaft eine Rolle zu spielen, sich zu ihrer Zerstreuung irgendeine Beschäftigung gesucht hatten. Lächelnd und wohlwollend war es geduldet worden. Man war froh gewesen, die Lästigen anderswo untergebracht zu wissen, und hatte ihre verdrossenen Gesichter bei heiteren Zusammenkünften gern vermißt. Bei manchen
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