Aufstand der Maenner
empfand es Adna, als er mit seiner Hand ihren Aufschrei erstickte.
Die Priesterschaft auf Kreta war zahlreich genug, daß sich die Diener der verschiedenen Heiligtümer keineswegs alle untereinander kannten. Das galt besonders von den Ministranten, die im Gegensatz zur weiblichen, zur eigentlichen Priesterschaft sehr selten den regierenden Familien angehörten. Sie konnten zu hohen Würden emporsteigen, aber zum Allerheiligsten der Rhea gehörten sie nicht. Dem Kult aber waren sie unentbehrlich. So umgaben die Verschnittenen die Enkelin der Hohenpriesterin wie ein heiliger Wall. Nur ihnen gebührte es, die hohe Braut auf die Empfängnis vorzubereiten. Um sich von den Anstrengungen des Bades zu erholen, hatte Adna, in ein Byssusgewand gehüllt, allein in ihrem Gemach gelegen. Noch war die Stunde des Duftmeisters nicht gekommen, der ihr eine atemversüßende Paste in die Kronen ihrer Zähne zu pressen und ihren Leib mit den sieben Wohlgerüchen zu behandeln hatte - alles Düfte, um die Sinne zu einer der Göttin wohlgefälligen Bereitschaft zu entfachen. Und dieses Alleinsein Adnas hatte Thes genützt. Nichts hatte er gescheut und sogar seine Locken geopfert. Ohne Brauen und Bart, mit nacktem, sauber geschabtem Schädel und im langen Gewand eines geistlichen Herrn stand er da.
»Was willst du hier?« flüsterte sie. »Wenn man dich entdeckt, bist du nicht zu retten.«
»Das schien schon oft so, und ich lebe immer noch.«
»Du bist ein Narr, Thes, laß dir das sagen.«
»Ich bin sehr froh, dich noch zur rechten Zeit zu sprechen.«
»Zur rechten Zeit! Jetzt ist ganz gewiß die unrichtigste, die es gibt.«
»Ich will nicht, daß du zum Minos gehst.«
»Was kümmert es dich?«
»Ich will nicht, sage ich dir! Auch dieser Minos ist, mag er sein, was er will, ein Mann. Er soll dich nicht haben!«
Sie begann erst zu begreifen, als sie sich gewisser barbarischer Vorstellungen von einem ganz andern Verhältnis zwischen Mann und Frau erinnerte. Thes hatte oft genug davon gesprochen. Bis zum Überdruß!
»Mich haben?« sagte sie jetzt. »Du meinst, ich solle ihn nicht haben. Beruhige dich, man heiratet den Minos nicht.«
»Du verstehst mich sehr gut! Ich habe mich nie mit eurer verdammten Religion abgefunden, und jetzt, da es sich um dich handelt, werde ich es erst recht nicht tun. Fühlst du denn nicht, was du mir damit antust?«
»Dir? Wieso dir, Thes? Mir vielleicht. Jedenfalls brenne ich nicht darauf, mich in den Palast tragen zu lassen. Aber zu umgehen ist das nun einmal nicht. Und der Minos ist so gut wie ein anderer Mann. Du sagtest es selbst.«
»Hochmütige!«
»Hochmütig? Soll ich mich vielleicht von einem Straßenhändler entsiegeln lassen? Wir ändern die Welt nicht, mein Thes.«
»Sie ist schon geändert, eure Welt! Während du in deiner Klausur warst, hat sich alles geändert.«
Adna hatte mit dem Gedanken eines Umsturzes gespielt und wiederum auch mehr als nur gespielt. Als sie nun aber hörte, daß inzwischen alles zum Sturz des hohen Kaphtors bereitet sei, überfiel sie ein Schreck. Nicht von einem Übergang und von Zugeständnissen, die den Regierenden abzunötigen seien, sprach Thes, sondern von Krieg und Gewalt, von Brand und Zerstörung. Das Schlimmste aber war, daß sie im Augenblick nichts zu Kaphtors Rettung zu tun vermochte. Keine Möglichkeit bestand, vor ihrer Entsiegelung noch mit der Großmutter zu reden. Und der Minos? Was wußte sie von ihm? Minos war ein Schatten ohne Fleisch und Bein, ein in Zeremonien aufgelöstes Wesen. Wo war Garparuda? Es hätte sie beruhigt, wenn sie seinen Namen gehört hätte. Aber Thes sprach nur von sich selbst, von »seinen« Reitern und wo er sie aufstellen werde und erwähnte nur einmal ganz nebenbei Tuk.
»Und Garparuda?« fragte Adna.
»Ach der!« meinte Thes. Und dann vernahm sie die Geschichte von der Gefangennahme und Blendung des Bruders. »Aber wir werden ihn rächen«, versicherte Thes.
»Geh!« sagte sie und wiederholte, da Thes sie von neuem bestürmen wollte: »Geh! Oder ich schlage sic, ich schlage die Scheibe!«
Den Klöppel in der Hand stand sie da, völlig bereit, die Bronze zum Tönen zu bringen oder zu schreien.
»Kreta soll büßen«, sagte Thes, »und das Blut des Minos sollen die Hunde lecken. Du aber entgehst mir nicht. Ich werde dich finden.«
Als habe die Wand ihn eingesogen, war er verschwunden.
Trotz ihrer Angst und ihres Zornes bangte Adna auch um Thes. Er kenne die Zeremonien nicht und nicht die Gesänge in der uralten
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