Aufstand der Maenner
es sehen. Denn wir müssen hinab. Es ist der kürzeste Weg, und keine Zeit ist zu verlieren.«
Es gebe also eine Tiefe unter der Tiefe, dachte Garp, indem er ihr folgte. Immer noch war das Brausen des Aufruhrs und der Kämpfe über ihnen zu hören gewesen - jetzt verflüchtigten sich die Geräusche zu einem Summen. Doch auch das noch trieb sie voran und hinab in die unheimliche Nähe der Rhea. Keine Göttin aber - jedenfalls kein Abbild von ihr -befand sich in der unterirdischen Halle, in die von oben ein krankes Licht fiel, gerade genug, um die Umrisse eines ungeheuren, aus Kacheln errichteten Stieres ahnen zu lassen. Berge von Asche häuften sich unter ihm. Sein Bauch schien auf Asche zu ruhen, seine Füße waren darin versunken.
»Geh vorüber«, sagte Adna. »Wenn du die Tür in seiner Flanke öffnetest, würdest du die sehen, die man hineingepfercht und verbrannt. Ihre Schreie waren es und ihr Röcheln, als du den Stier aufbrüllen hörtest über Knossos. Aber das Menschenopfer war umsonst. Der Stier war nicht zu besänftigen. Er ist ausgebrochen und brüllt jetzt über uns und berennt den Palast. - Still!« unterbrach sie sich.
Sie horchten . . .
Uralte Laute vernahmen sie - einen gemurmelten Gesang. Garp verstand wenig. Zu jung waren seine Kenntnisse von der toten Sprache, und sehr viele Worte hatten für die Lebenden überhaupt schon jeden Sinn verloren. Leise bewegten sich Garp und Adna in die Richtung, aus der die Laute kamen. Und dann sahen sie einen dunklen Schatten zwischen den Vorderbeinen des Stieres. Als eine Klage erkannten sie jetzt den Betgesang, als eine Anrufung Rheas, wie sie gebraucht wurde, wenn man dem Schoße der Gottheit einen Toten übergab. Hier aber wurde Knossos, Rheas heilige Stadt, der Göttin zurückgegeben.
Nichts als das Knistern der Fackeln war noch zu hören. Kaum zu atmen wagten sie. Und erst als der Schatten den müden Kopf auf die Knie sinken ließ, flüsterte Garp:
»Wir müssen fort, Adna, gleichviel, nur fort und zu den Pferden! Sieh dich nicht um. Geh voran!«
Aber Adna näherte sich dem Schatten. Ein Gesicht hob sich ihrer Fackel entgegen ... es war das Antlitz der Belit.
»Seid ihr da?« fragte sie. »Auch du, Garparuda?«
»Großmütterchen, ich trage Sie, wir müssen weiter. Es ist keine Zeit zu verlieren, wenn Knossos gerettet werden soll.«
»Knossos starb«, war Belits Antwort.
»Ein Irrtum!« rief Garp, und mit keuchendem Atem erzählte er von der Möglichkeit, von der Wahrscheinlichkeit, ja der Gewißheit einer Rettung durch die Pferde. Nur schnell müsse es geschehen! »Oh, Mutter, warum sprachen Sie nicht mit mir? Ihnen hätte ich mich anvertraut, wenn Sie mir eine Gelegenheit gegeben hätten!«
Ganz klar war Belit. »Als es noch Zeit war, wußte ich zuwenig, und als ich wußte, war es zu spät. Ich hätte dich niemals gefangengesetzt. Du fielst durch Verrat.«
Nicht einmal den Namen des Verräters zu hören, hatte Garp die Zeit. Nur fort!
Belit erhob sich. »Glaubst du wirklich, Sterblicher, Knossos sei durch Menschen zu fällen? Wenn das wäre - so wäre es auch durch Menschen zu retten. Und ich würde mit keinem andern gehen als mit dir, Garparuda. Aber alles, was lebt, ist sterblich außer der Göttin. Sie gebar Knossos, und jetzt nimmt sie es zurück. Ihr aber flieht! Nur noch sterben könnt ihr mit Knossos, zu retten ist es nicht mehr.«
»Fliehen wir, aber mit Ihnen!« rief Adna.
»Ich habe geherrscht in Knossos - jetzt wird mich Knossos begraben. Kein Mensch ward je so im Tode geehrt. Die Göttin ruft mich . . . Rhea, ich höre dich, Mutter der Menschen und jeglichen Lebens! Rhea, ich harre dein, einzugehen in deinen Schoß, aus dem ich gekommen!«
Mit erhobenen Armen stand Belit da, ein Abbild der Göttin, zu der sie rief.
»Nimm sie, wir müssen fort!« flüsterte Adna trotz allem Erschauern.
Und Garp nahm sie auf seine Arme. Leicht wie ein Kind wog Belit, und ihm war doch, als trage er eine Welt. Belit wehrte sich nicht.
»Armes Kind«, hauchte sie, »du trägst Knossos . . . Möge die Göttin dir verzeihen . . . um deiner kindlichen Treue willen . . . oh, Rhea!«
Es war Garp, als werde getanzt - alles schwankte — sein Gefühl für Schwere verlor sich. Er hörte einen gellenden Schrei. Es war Adna, die schrie, und er verstand nicht die Worte. Vielleicht waren es auch keine Worte. Eine Mauer stürzte ein.
»Rhea . . .«, röchelte Belit, »bist du da?« Sie verschwand.
»Ich bin da!« rief Garp mit dem gleichen Trotz, der ihn
Weitere Kostenlose Bücher