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Aufzeichnungen aus dem Kellerloch: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Aufzeichnungen aus dem Kellerloch: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Aufzeichnungen aus dem Kellerloch: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fjodor M. Dostojewskij
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beiläufig, als wollte ich sie zerstreuen. Ich muß gestehen, ich errötete.
    »Warum denn das?« fragte sie.
    “Aha, sie hört also doch zu!”
    »Einfach so, ich weiß nicht warum. Siehst du, ich kannte einen Vater, einen strengen und harten Mann, vor seiner Tochter aber lag er auf den Knien, küßte ihre Hände und Füße und konnte sich nicht an ihr satt sehen. Wirklich. Wenn sie auf einem Ball tanzte, blieb er fünf Stunden auf einem Fleck stehen und ließ kein Auge von ihr. Ganz närrisch ist er gewesen: ich kann das verstehen! Nachts, wenn sie schlief, wachte er bei ihr, küßte sie im Schlaf und bekreuzte sie fortwährend. Selbst ging er in einem schäbigen Rock, war geizig, für sie aber war ihm nichts zu teuer, er beschenkte sie fürstlich und hatte keine größere Freude, als wenn das Geschenk ihr gefiel. Der Vater liebt die Töchter immer mehr als die Mutter, viele Töchter haben es gut im Elternhause! Und ich würde meine Tochter wahrscheinlich überhaupt nicht heiraten lassen.«
    »Wieso nicht?« fragte sie mit dem Anflug eines Lächelns.
    »Aus Eifersucht, bei Gott. Sie soll einen Fremden küssen? Einen Fremden mehr als den Vater lieben? Man kann sich das kaum vorstellen. Natürlich ist das alles Unsinn; natürlich wird jeder schließlich zur Vernunft kommen. Allerdings hätte ich mich vor ihrer Heirat schon zu Tode gesorgt: ich hätte jeden Bräutigam schlechtgemacht; zu guter Letzt aber sie dem gegeben, den sie liebt! Derjenige, den die Tochter liebgewinnt, scheint dem Vater immer der Schlimmste zu sein. Das ist nun einmal so. Deswegen kommt es in manchen Familien zu großem Unglück.«
    »Manchen aber ist es lieber, ihre Tochter zu verkaufen, statt sie in Ehren aus dem Haus zu geben«, sagte sie plötzlich.
    “Aha! Das ist es also!”
    »Das, Lisa, kommt in jenen verruchten Familien vor, die weder Gott noch Liebe kennen«, griff ich mit Feuer ihre Worte auf, »wo es aber keine Liebe gibt, gibt es auch keine Vernunft. Solche Familien gibt es, das stimmt, aber nicht von ihnen spreche ich. Du mußt wohl in deiner Familie wenig Gutes gesehen haben, wenn du so sprichst. Ganz bestimmt bist du unglücklich. Hm …! Meistens ist die Armut daran schuld.«
    »Geht es denn bei den Herrschaften etwa besser zu? Auch in Armut leben ehrliche Menschen, wie es sich gehört.«
    »Hm … ja. Vielleicht. Eins kommt noch dazu, Lisa: Der Mensch liebt es, nur sein Unglück zu beachten, sein Glück aber zu übersehen. Würde er aber richtig sehen, so würde er erkennen, daß ihm beides beschert ist. Wie schön ist es doch, wenn die Familie wohlgeraten ist, wenn Gottes Segen auf ihr ruht, wenn du einen guten Mann hast, der dich liebt, dich schont, keinen Schritt von dir weicht! In einer solchen Familie ist gut leben! Selbst das Unglück läßt sich dann ertragen; wo gibt es denn kein Unglück? Solltest du einmal heiraten – dann wirst du es selbst erfahren . Schon die erste Zeit nach der Hochzeit mit einem Menschen, den du liebst: wieviel Glück, wieviel Glück kommt da über einen! Nichts als Glück. In der ersten Zeit endet sogar jeder Streit zwischen Mann und Frau glücklich. Je mehr eine Frau ihren Mann liebt, um so häufiger fängt sie einen Streit mit ihm an. Wahrhaftig, ich selber habe so eine gekannt: ich liebe dich so sehr, sagte sie, und so quäle ich dich denn aus lauter Liebe, du sollst das fühlen. Weißt du denn auch, daß man aus Liebe einen Menschen absichtlich quälen kann? Meistens tut es die Frau. Bei sich aber denkt sie dann: dafür werde ich dich nachher so liebhaben, werde dich so liebkosen, daß es keine Sünde ist, dich jetzt ein Weilchen zu quälen. Und das ganze Haus freut sich an euch. Gut ist es, fröhlich, friedlich und ehrbar … Andere aber sind eifersüchtig. Geht der Mann einmal aus – ich kannte so eine –, schon erträgt sie es nicht und läuft sogar mitten in der Nacht aus dem Haus, um ihm heimlich nachzuspüren: wo ist er, in jenem Hause vielleicht, bei dieser oder jener? Das ist natürlich schlimm. Sie weiß ja selbst, daß es schlimm ist, ihr Herz stockt und verabscheut sich selbst, aber sie liebt; und alles geschieht aus lauter Liebe. Und wie gut das tut, sich nach einem Streit zu versöhnen, um Verzeihung zu bitten oder selbst zu vergeben! Und so wohl wird es beiden, so wohl wird ihnen zumute – ganz als ob sie sich von neuem gefunden, von neuem geheiratet hätten und von neuem liebten. Und niemand, niemand darf wissen, was zwischen Mann und Frau geschieht, wenn sie

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