Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Aufzeichnungen aus dem Kellerloch: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Aufzeichnungen aus dem Kellerloch: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Aufzeichnungen aus dem Kellerloch: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fjodor M. Dostojewskij
Vom Netzwerk:
Nässe …« (ich gähnte).
    »Das ist doch egal«, sagte sie plötzlich, nach längerem Schweigen.
    »Nein, häßlich …« (ich gähnte wieder). »Die Totengräber haben sicher geflucht, weil sie im Schnee naß wurden. Und im Grab stand sicher Wasser.«
    »Woher kommt das Wasser im Grab?« fragte sie mit einer gewissen Neugierde, aber noch gröber und unfreundlicher als vorhin. Plötzlich war mir, als stachelte mich jemand auf.
    »Wieso denn, da steht eben Wasser drin, sechs Werschki . Hier auf dem Wolkowo-Friedhof kannst du kein einziges trockenes Grab finden.«
    »Warum?«
    »Was heißt warum? Sumpf. Hier ist überall Sumpf. So wird man einfach ins Wasser gelegt. Ich habe es selbst gesehen … mehrere Male …« (Kein einziges Mal hatte ich es gesehen und war überhaupt noch nie auf dem Wolkowo-Friedhof gewesen. Ich hatte nur andere davon sprechen gehört.)
    »Ist es dir denn wirklich ganz egal, daß du stirbst?«
    »Warum soll ich denn sterben?« fragte sie, wie wenn sie sich verteidigen wollte.
    »Einmal wirst auch du sterben, und zwar wirst du genauso sterben wie die Frau von heute morgen. Das war … auch so ein Mädchen … Sie hatte Schwindsucht.«
    »Eine Dirne wäre doch im Krankenhaus gestorben …« (Sie weiß also schon, wie das ist, dachte ich, und sie sagte auch: Dirne.)
    »Sie war bei der Wirtin verschuldet«, entgegnete ich, zunehmend schadenfroh, »und mußte fast bis zum Tode bei ihr bleiben, obwohl sie schwindsüchtig war. Die Droschkenkutscher unterhielten sich mit den Soldaten, die dabeistanden, und sprachen davon. Wahrscheinlich ihre einstigen Kunden. Sie lachten. Und nahmen sich vor, in der Schenke ihrer zu gedenken. (Auch hier habe ich manches hinzugedichtet.)
    Schweigen, tiefes Schweigen. Sie rührte sich nicht.
    »Ist denn das Sterben im Krankenhaus etwa leichter?«
    »Ist das denn nicht gleich? … Und warum soll ich denn sterben?« fügte sie gereizt hinzu.
    »Wenn nicht jetzt, dann später?«
    »Nun, und später …«
    »Von wegen! Jetzt bist du jung, hübsch, frisch – dafür schätzt man dich auch. Nach einem Jahr solchen Lebens aber bist du nicht mehr die gleiche, dann bist du verwelkt.«
    »Nach einem Jahr?«
    »Jedenfalls bist du in einem Jahr weniger wert«, fuhr ich schadenfroh fort. »Und dann wirst du aus diesem Haus in ein anderes, schlechteres kommen. Nach einem zweiten Jahr – in ein drittes Haus, immer schlechter und schlechter, und etwa nach sieben Jahren wirst du im Keller auf der Sennaja angelangt sein. Das ginge noch. Schlimm wäre es, wenn du außerdem krank würdest, nun, sagen wir, schwach auf der Brust … oder du erkältest dich, oder sonst irgendwas. Bei so einem Leben wird man die Krankheit nicht so leicht los. Hat man sie sich einmal zugezogen, wird man sie nicht mehr los. Nun, und dann wirst du eben sterben.«
    »Dann werde ich eben sterben!« antwortete sie, nun ganz böse, und machte eine heftige Bewegung.
    »Es ist aber doch schade.«
    »Um was?«
    »Um das Leben.«
    Schweigen.
    »Hast du einen Bräutigam gehabt? Ja?«
    »Was geht das Sie an?«
    »Ich will dich ja nicht ausfragen. Mir kann es ja egal sein. Warum ärgerst du dich? Natürlich kannst du deinen eigenen Kummer haben. Was es mich angeht? Nur so, es tut mir einfach leid.«
    »Was?«
    »Du tust mir leid.«
    »Kein Grund …«, flüsterte sie kaum hörbar und bewegte sich wieder. Das ärgerte mich sofort. Wie! Ich war so sanft zu ihr, sie aber …
    »Aber was denkst du denn eigentlich? Bist du etwa auf einem guten Wege?«
    »Nichts denke ich.«
    »Das ist ja das schlimme, daß du nichts denkst. Besinne dich, solange es nicht zu spät ist. Jetzt geht es noch. Du bist noch jung, du bist hübsch; du könntest dich verlieben, heiraten, glücklich sein …«
    »Nicht alle Verheirateten sind glücklich«, unterbrach sie mich in ihrer immer noch groben Art.
    »Natürlich nicht alle, und dennoch ist es besser als das hier. Unvergleichlich besser. Mit Liebe kann man ohne Glück auskommen. Auch im Leid ist dann das Leben schön. Überhaupt ist es dann schön, auf der Welt zu leben, wie das Leben auch sein mag. Und hier, was ist hier außer … Gestank. Pfui!«
    Ich wandte mich angeekelt ab; ich räsonierte nicht mehr mit kühler Überlegenheit. Ich fühlte bereits selbst, was ich gerade sagte, und geriet in Feuer. Ich dürstete danach, meine heiligsten Ideechen , die ich in meinem Winkel ausgebrütet hatte, jetzt darzubieten. Irgend etwas flammte in mir auf, ein Ziel ›schwebte mir

Weitere Kostenlose Bücher