Aufzeichnungen eines Außenseiters
machte auf. Schließlich machte ich mirs auf den Mülltonnen bequem und versuchte zu schlafen. Immerhin hatte ich noch so viel Verstand, daß ich mich nicht auf die Erde legte, wo mich die Ratten erwischen konnten. Ich war eben ein cleverer Junge.
Jch war so clever, daß ich am nächsten Tag sogar einen Job fand. Und am Abend, leicht zittrig, ziemlich verkatert und verkrumpclt, ging ich an die Arbeit.
Zwei alte Kerle sollten mich einweisen. Sie hatten den Job schon, seit man die U-Bahn erfunden hatte. (Bzw. die Hochbahn, wie sich rasch herausstellte.) Wir schusserten also los, jeder mit einem Stoß Pappdeckel unterm Arm und einem kleinen Gerät in der Hand, das aussah wie ein Flaschenöffner. »In New York ham alle Leute solche kleinen grünlichen Wanzen«, sagte einer der beiden Alten.
»Was du nicht sagst!« meinte ich, wobei es mir ziemlich egal war, was für 'ne Farbe die Wanzen hatten.
»Du wirst sie sehen, auf den Sitzen. Wir finden sie jede Nacht auf den Sitzen. »Yeh«, machte der andere.
Meine Fresse, dachte ich, ob sowas auch mal Cervantes pas siert ist?
»Jetzt schau her«, sagte der eine. »Jeder Karton hat 'ne kleine Nummer. Wir nehmen die alte Anzeige raus und setzen die neue mit derselben Nummer rein.«
Flip, flip. Der Flaschenöffner löste die Halterungen, die alte Werbung fiel raus, die neue wurde reingehauen, flip, flip die Halterungen wieder festgemacht.
»Jetzt Versuchs du mal.«
Ich tat mein Bestes. Aber die Halterungen gaben nicht nach. Ich hatte einen miesen Flaschenöffner erwischt. Und außerdem war mir schlecht.
»Wirst es schon hinkriegen«, sagte einer der Alten. Ich werds schon hinkriegen. Du ARSCH , dachte ich. Wir arbeiteten uns durch den Wagen durch. Am anderen Ende kletterten wir raus und die Opas gingen weiter, über die Schwellen. Die Schwellen waren mindestens einen Meter auseinander. Ein Mensch konnte da bequem durchfallen, ohne sich besondere Mühe zu geben. Wir waren gut und gern 25 Meter über der Straße und ebensoweit vom nächsten Wagen entfernt. Die beiden alten Knacker hüpften über die Schwellen, erreichten den nächsten Wagen und drehten sich nach mir um. Drüben an der Haltestelle war gerade ein Zug eingefahren. Im Licht, das aus seinen Wagen über die Gleise fiel, konnte man die Zwischenräume zwischen den Schwellen sehr schön sehen.
»Mach schon! Los, wir hams eilig!«
»Scheiß auf eure Eile!« brüllte ich zurück. Ich fing an, mich langsam vorzuarbeiten, mit meiner Ladung Pappdeckel unterm Arm und diesem lächerlichen Flaschenöffner in der Hand . . . ein Schritt. . . noch einer . . . noch einer . . . schwindelig, verkatert, benommen.
Und dann fuhr der Zug drüben ab und es wurde dunkel wie in einer Besenkammer. Noch dunkler sogar. Ich sah nichts mehr. Ich konnte nicht mehr vor und nicht mehr zurück. Ich stand einfach da.
»Na los doch! Mach schon! Wir ham noch mehr Wagen zu machen!«
Meine Augen gewöhnten sich langsam wieder an die Dunkelheit. Ich tastete mich vorsichtig weiter vor. Manche Schwellen waren weich und angefault, andere uneben und voller Splitter. Längst nahm ich ihr Rufen nicht mehr wahr. Ich starrte nur noch wie hypnotisiert vor mich in die Dunkelheit. Jeder Schritt, den ich machte, konnte mein letzter sein. Ich schaffte es bis zum nächsten Wagen und schmiß ihnen das Zeug vor die Füße.
»Wassn los?«
»Wassn los, wassn los! ICH SCHEISS DRAUF !«
»Was paßt dir denn nicht?«
»Ein falscher Schritt, und man hat sich's Genick gebrochen. Ist euch Deppen das eigentlich klar?«
»Hier hat sich noch keiner was gebrochen.«
»Wahrscheinlich weil keiner so viel säuft wie ich. So, und jetzt hätte ich gern, daß mir einer von euch sagt, wie man hier wieder runter kommt.«
»Tja, da drüben geht 'ne Treppe runter, aber da muß man über die Gleise gehn. Und das heißt, man muß über zwei oder drei Heiße steigen . . .«
»Fuck it. Was sind >Heiße«
»Da fließt der Saft drin. Wenn du da drankommst, bist du hin.«
»Zeig mir, wo man rübergeht.«
Sie zeigten mir die Stelle. Die Entfernung schien nicht allzu groß zu sein.
»Bedanke mich, Gentlemen.«
»Paß auf die heißen Schienen auf. Pures Gold. Wenn du drankommst . . . pffft!«
Ich machte mich auf den Weg. Ich spürte, wie sie mich beobachteten. Jedesmal, wenn ich an eine heiße Schiene kam, machte ich einen hohen, vorsichtigen Schritt. Einmal blickte ich zurück. Ihre Gesichter waren weich und milchig im Mondlicht.
Ich erreichte die Treppe und fing wieder an zu leben. Drunten auf der
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