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Aufzeichnungen eines Außenseiters

Aufzeichnungen eines Außenseiters

Titel: Aufzeichnungen eines Außenseiters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Bukowski
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der Tür und latsche auf eine Tellermine? Wen kümmert das schon. Hoffentlich kommt dann ein paar Lesern wenigstens das Mittagessen hoch . . .
    Kommt so das Ende? Der Tod aus sämtlichen Nasenlöchern der Nacht? Wie billig. Was für ein Plagiat. Und wie brutal. Ein Klumpen rohes, stinkendes Hackfleisch, das jemand hat liegen lassen.
Er kotzte sich aufs Hemd; zu schwach, um den Kopf auf die Seite zu drehen.
Sie hatten ihn gewarnt. Nie Pillen und Whisky durcheinander. Und weiß Gott, sie hatten recht behalten.
Er spürte, wie seine Seele unter ihm wegrutschte. Er fühlte, wie sie verkehrtherum dahing, wie eine Katze, und mit den Hinterbeinen krampfhaft nach einem Halt suchte.
Motherfucker, komm zurück! sagte er.
Seine Seele lachte, du hast mich lang genug gestriezt, Baby. Jetzt bin ich dran.
Es war ungefähr drei Uhr morgens.
Das Sterben kümmerte ihn weniger, eher schon die losen En den, die vielen kleinen unerledigten Dinge, die nun für immer unerledigt bleiben würden — eine vierjährige Tochter irgendwo in einem Hippie-Camp in Arizona; Strümpfe und Unterhosen auf dem Boden, verschimmeltes Geschirr im Spülbecken; unbezahlte Rechnungen für Autoreparaturen, Gas, Strom, Telefon; und ein Teil von ihm, verschollen in ungewaschenen Mösen von einem halben Hundert Nutten, auf Fahnenmasten und Feuerleitern, in baufälligen leeren Wohnungen, im Kommunionsunterricht, auf Schiffen und in Ge fängniszellen, in abgerissenen, vermoderten Verbänden, im Klo runtergespült; Spuren seines Ich, die an weggeworfenen Weckern klebten, an weggeworfenen Schuhen, Frauen, Freunden . . .
Es war einfach ein Jammer. Wer konnte den Blues blasen so wie er wirklich war? Niemand. Das war es. Niemand konnte es. Man konnte es nur immer wieder versuchen, und das Scheitern und die Verzweiflung wuchsen, und es gab keinen Weg zurück.
Er würgte wieder, übergab sich und lag wieder still. Er konnte die Grillen hören, draußen in Hollywood, entlang dem Sunset Boulevard. Ich hab verspielt, mein Gott, ich hab alles verspielt, dachte er.
Yeah, Brother, hast verspielt, sagte seine Seele. Er hatte das Ende aller Roßkuren erreicht. Er brachte nichts mehr runter, kein Bier, keine Pillen, nicht mal Wasser. Nichts mehr. Es gab kein Pot mehr, kein Hasch, keine Liebe, keinen Windhauch, keinen Sound — nur noch das Zirpen der Grillen. Nichts mehr zu hoffen. Und er hatte nicht einmal ein Streichholz, um die Bude in Brand zu stecken.
Und es wurde schlimmer.
Eine Melodie begann ihm durch den Kopf zu gehen und sich zu wiederholen, immer dieselbe Melodie:
»Schaff lieber noch einen Dollar an, Mr. Businessman, solang du noch kannst. . .«
Ah ja. Und immer wieder dieselbe Leier:
»Schaff lieber noch einen Dollar an, Mr. Businessman . . .« »Schaff lieber noch einen Dollar . . .«
»Schaff lieber noch . . .«
»Schaff lieber . . .«
Mit letzter Energie, die irgendwo aus den wahnsinnigen Echos des Raums zu kommen schien (Wer kann den wahren Blues blasen? Niemand.), langte er hoch und machte die kleine Lampe über seinem Kopf an, es war nur noch eine nackte Glühbirne, der Schirm war längst abgerissen (Wer kann ihn blasen, diesen Blues?), und er hob eine Ansichtskarte vom Boden auf, die er vor einigen Tagen in seinem Briefkasten gefunden hatte, und las:
»Lieber Buk: wir grüßen dich aus der Feme und heben ein deutsches Helles und einen Klaren auf dein Wohl und gedenken deiner Säuferseele hinter den heimeligen Butzenscheiben des . . .«
Ein paar aufdringliche vollgefressene Typen, die gedankenlos in ihrem Glück aus zweiter Hand dahindämmerten. Die nachlässig hingeschmierten Zeilen verhedderten sich vor seinen Augen.
Eine Andeutung, daß man am nächsten Tag nach England aufbrechen werde. Gedichte, die sich langsam einstellten. Zu fett gegessen und bei der Stadtrundfahrt den Bus vollgekotzt. »Wir halten Sie für den größten Dichter seit Eliot.« Unterzeichnet von einem Herrn Professor und seinem Lieblingsschüler. Nur seit Eliot? Das war nicht weit her. Als ob er nicht all diesen einfallslosen Geistern demonstriert hätte, was es heißt, wieder Gedichte zu schreiben, die so voller Energie und Leben waren, daß sie leuchteten und schwitzten und stanken; und jetzt machten diese Leute eine Vergnügungsreise durch Europa und holten sich gegenseitig einen runter in ihrem Erste-Klasse-Abteil, während er in seinem schäbigen Loch auf der Skid Row von Hollywood am Abkratzen war.
»Schaff lieber noch einen Dollar an, Mr. Businessman ... solang du noch kannst. .

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