Aufzeichnungen eines Außenseiters
Blut.
Er schleppte sich hinüber zur Couch.
». . . you need love, you need love . . .«
Naja, dachte er, wenigstens haben sie 'ne andere Platte aufgelegt.
Das Sterben war nicht so einfach, wie er es sich vorgestellt hatte. Überall Blut, die Vorhänge zugezogen, draußen machten sich die Leute fertig für die Arbeit. Einmal, als er sich herumwälzte, fiel sein Blick auf das Bücherregal, da standen all seine Gedichtbände — und er fühlte, wie alles umsonst gewesen war. Er hatte versagt, das reichte nicht einmal zu rück bis Eliot, nicht einmal bis gestern früh. Er hatte verspielt wie ein leichtsinniger Affe, der vom Baum fällt und im Maul des Tigers landet.
Es machte nichts, und den Blues mochte blasen, wer wollte, es war ihm egal. Satchmo, go home. Schostakowitsch mit deiner Fünften, vergiß es. Peter Tschaik, hast dich mit einem runtergekommenen Sopran in die Nesseln gesetzt und nebenher noch 'ne Lesbierin unterhalten, wie man hört. . . vergiß es. Wir haben alle nach der großen Nummer gehangelt, und alle haben wir versagt — als Schwanzlutscher, als Maler, Ärzte, Zuhälter, Green Berets, Tellerwäscher, Zahnklempner, Trapezkünstler und Birnenpflücker. Jeder an sein eigenes Kreuz genagelt. Und jeder röhrte seinen eigenen Blues. »You need love, you need love . . .«
Er stand auf und ging zum Fenster, zog die Vorhänge zur Seite, die beschissenen Dinger waren total verrottet, er hielt nur noch ein paar Fetzen in der Hand. Auch die Sonne war alt und ausgelaugt; sie schien auf dieselben müden Blumen und dieselben verbrauchten jungen Mädchen. Er sah zu, wie die Leute zur Arbeit gingen. Er war genauso gescheit oder behämmert wie immer.
Er ließ sich wieder auf die gemietete Couch fallen, und für einen Augenblick war es seine Couch.
Nach all dem Trouble war nichts weiter dabei.
Er starb.
Der kleine verkrüppelte Schneider saß immer da und nähte und hatte gute Laune. Nur wenn seine Alte auftauchte und an der Tür schellte, verließ ihn seine gute Laune. »Mach auf, ich hab dir saure Sahne mitgebracht«, rief sie zu ihm hinein. »Hau ab, du stinkst mir!« schrie er. »Ich scheiß auf deinen verdammten Rahm!«
»Äääääh!« machte sie. »Du und dein verstunkener Laden! — Schaff doch wenigstens mal deinen Müll raus!« Und weg war sie wieder.
Der Schneider legte einen Finger an die Nase und dachte einen Augenblick nach. Ah ja — die drei Leichen. Das war es. Eine lag in der Küche vor dem Gasherd. Eine weitere hing steif im Wandschrank an einem Kleiderhaken. Und die dritte saß in halb aufrechter Position in der Badewanne, so daß gerade noch der Kopf über dem Rand sichtbar war. Langsam stellten sich immer mehr Fliegen ein, und das war unangenehm. Die Fliegen schienen sich außerordentlich wohl zu fühlen, sie berauschten sich förmlich an dem Verwesungsgeruch, und wenn er mit der Fliegenpatsche nach ihnen schlug, wurden sie wü tend und fielen über ihn her. Also ließ er sie einfach in Ruhe.
Er setzte sich wieder an seine Arbeit, und wieder klingelte es. Sieht so aus, als ob ich heut ums Verrecken nicht zum Nähen komme, dachte er.
Es war sein Freund Harry.
»Hallo, Harry.«
»Hallo, Jack.«
Harry kam rein. »Wo kommt denn der Gestank her?« »Leichen.«
»Leichen? Soll das ein Witz sein?«
»Nö. Schau dich doch um.«
Harry ging seiner Nase nach und fand den in der Küche, dann den im Wandschrank und den in der Badewanne. »Warum hast du die umgebracht? Bist du übergeschnappt? Was wirst du denn jetzt tun? Warum schaffst du sie nicht weg und versteckst sie irgendwo? Hast du nicht mehr alle Tassen im Schrank? Warum hast du sie denn umgebracht? Warum rufst du nicht die Polizei? Bist du denn von allen guten Geistern verlassen? Mann, dieser GESTANK ! Hör mal, komm mir ja nicht zu nahe! Was soll denn jetzt werden? Was zum Teufel läuft hier eigentlich? UHHH ! DIESER GESTANK ! MIR DREHT SICH DER
MAGEN UM !«
Jack arbeitete ungerührt weiter. Er nähte und nähte und nähte.
Es war, als ob er sich dahinter verstecken wollte.
»Jack, ich ruf jetzt die Polizei an.«
Harry ging in Richtung Telefon, merkte aber plötzlich, wie es ihm hochkam. Er rannte ins Bad und kotzte in die Kloschüssel, grad neben dem Kopf der Leiche in der Wanne. Er kam wieder heraus und langte nach dem Telefon. Er stellte fest, daß man die Sprechmuschel abschrauben und seinen Penis in die Öffnung schieben konnte. Er schob ihn darin vor und zurück, und es tat gut. Sehr gut sogar. Als er fertig war, hängte er den Hörer ein,
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