Aufzeichnungen eines Schnitzeljägers
Vielleicht spornt genau das so viele Menschen an, dieses Hobby als Sport oder gar als Extremgeocaching zu betreiben. Was gibt es Schöneres, als wenn sich die eigene Punktzahl kontinuierlich erhöht? Hat man erst mal die Zehn erreicht, durchströmt einen ein wohliges Gefühl der Wärme, bei 20 ist das Ansteigen der Wohlfühltemperatur auch für Außenstehende zu spüren. Man hat ein Dauergrinsen auf dem Gesicht, was bei jeder Grenzkontrolle am Flughafen zur sofortigen Durchsuchung des Handgepäcks führt. Hat man erst die 50 erreicht (wow!) oder die 100 (unfassbar!), geht es bald an den 200 vorbei (geil, geil, geil, geil!), und irgendwann erreicht man sogar einen Punktestand jenseits der 500. Spätestens jetzt kann man nicht mehr anders und muss es seinem Umfeld zwingend kundtun:
«He, ich hab jetzt 500 Punkte!»
«Wo?»
«Beim Geocachen!»
«Hä? Was’n das?»
«Da wo ich immer rumrenne und Dosen suche.»
«Dosen?»
«Ja, die jemand im Wald versteckt hat.»
«Ach, ist das die Aktion, von der deine Frau erzählt hat, du hättest sie dabei irgendwo im Urlaub vergessen?»
Seither weiß ich auch, warum es lange Zeit bei uns zu Hause so ruhig war.
DER EINSAMKEIT ENTGEHEN
Es gibt übrigens einen Aspekt, der den einen oder anderen eigentlich harmlosen Traditional reizvoller macht: der direkte Konkurrenzkampf, ein Rennen sozusagen. Das Ganze läuft folgendermaßen ab: Man fährt möglichst nah an den Cache heran. Die Koordinaten sind längst ins GP S-Gerät eingegeben. Die Wagentüren fliegen auf, zwei Menschen stürzen sich ins Gelände, starren auf ihre Displays und rennen in (fast) die gleiche Richtung. Richtungsänderungen werden dabei meist mit einem «Scheiße, blöder Empfang» eingeleitet und mit einem gehechelten «Ich hab zehn Satelliten» quittiert.
Manchmal rennen auch zwei Menschen eine ganze Weile nebeneinanderher. Das kommt allerdings nur dann vor, wenn beide das gleiche oder sogar nur ein gemeinsames Gerät haben. Da empfiehlt es sich, kurz aufzuschauen und knapp an einem Baum vorbeizuhasten. Bei der Strategie wird der unkonzentrierte Gegner jäh aufgehalten, seine Geschwindigkeit
schlag artig
(die Betonung liegt eindeutig auf dem Wort «Schlag») auf null zurückgesetzt.
Das ist übrigens auch für Nichtcacher ein lohnender Anblick. Sieht man im Sommer von einem Feldweg aus in 200 Meter Entfernung eine Staubwolke über der Erde stehen, aus der hin und wieder Arme, Beine und GP S-Geräteteile herausschauen, kann man sicher sein, dass es sich um ein Cacher-Wettrennen im Endstadium handelt. Für uns ist so etwas natürlich kein einfaches Rennen. Nein, das ist Krieg! Das Ergebnis lässt sich später dann problemlos überprüfen, wie ein Blick ins Logbuch zeigt. Blutstropfen bedeutet: Es war wirklich spannend und ein fairer Kampf. Keine Blutstropfen dagegen: Einer derbeiden Kontrahenten war feige und hat sich nicht wirklich gewehrt.
Ich persönlich veranstalte solche Wettrennen nicht so gerne, denn ich würde eigentlich immer gewinnen, und dann sind meine Mitcacher so schrecklich traurig. Deshalb renne ich immer absichtlich in die falsche Richtung und rufe: «Scheiße, blöder Empfang», oder ich tue so, als würde ein Baum meinen Weg kreuzen. Also, falls jemals jemand gegen mich bereits gewonnen haben oder noch gewinnen sollte: Ich habe es so gewollt, Tobi!
Tobi? Wer bitte schön ist Tobi?
Mein Techniker, ein Freund aber vor allem, und das zeichnet diesen Menschen wirklich aus: mein Hauptmitcacher. Da ich beruflich recht viel unterwegs bin und vor Ort oft mal ganz gerne cachen gehe, betrachte ich es als ein Geschenk des Himmels, dass ich auf ihn gestoßen bin, zumal er auch noch das gleiche Hobby hat wie ich. Auch wenn unser erstes Zusammentreffen recht kompliziert war:
Ich war auf dem Weg nach Berlin. Immer nur die A2 entlangrasen war mir auf Dauer zu langweilig, und so informierte ich mich im Vorfeld, welche Caches denn so am Wegesrand lagen. Einer stach mir relativ schnell ins Auge: der «Mittellandkanal». Ich war ziemlich gespannt, denn er lag «in der Mitte darüber» – «Mitte darüber», wie sollte das denn gehen? Dass er unter Wasser versteckt war, schloss ich aus, aber auch, dass er einfach so in der Luft hing. Ein kurzer Blick auf die Karte löste das Problem: Es gab eine Brücke. Das klang erst mal recht einfach.
Schwierig wurde es erst, als ich den Ort des Geschehens näher in Augenschein nahm. Die Brücke gehörte zu einer vierspurigen Landstraße, auf der ich
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