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Aufzeichnungen eines Schnitzeljägers

Aufzeichnungen eines Schnitzeljägers

Titel: Aufzeichnungen eines Schnitzeljägers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Hoëcker
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einmal Bäume aus, auf die wir hinaufklettern konnten, falls sie tatsächlich angreifen sollten.
    Aber wir waren nicht allein, und so erscholl es nach einer Weile, genauer gesagt nach 30   Sekunden: «Wo ist denn nun der Wecker?»
    «Der muss erst klingeln   …»
    «Warum sind wir denn dann schon hier?»
    «Weil wir vorher da sein müssen.»
    «Und wo ist das Wildschwein?»
    «Hinter dir.»
    «Ah   … ihr seid so gemein!»
    Wir hatten endlich wieder Zeit, in Ruhe darüber nachzudenken, ob der Wecker nun schon auf Sommerzeit umgestellt worden war oder nicht. Es gab nur drei Möglichkeiten:
    Erstens: Wir hatten Pech, der Wecker war noch nicht umgestellt und wir würden uns eine Stunde lang die Füße in den Bauch stehen.
    Zweitens: Der Owner hatte ihn schon umgestellt (das war unsere größte Hoffnung).
    Drittens: Es war ein Funkwecker, der sich automatisch anpasste.
    Allerdings waren wir nicht ganz sicher, ob der Wecker überhaupt ein Signal empfangen konnte. Wir griffen nach unseren Handys und stellten fest, dass wir so gut wie gar kein Netz hatten. Genau genommen war es auch eigentlich nur ein Handy. Meines hatte ich im Auto vergessen, und Tobis Freundin hatte ihres nicht mitnehmen wollen, das gute Stück könnte ja frieren – trotz Flokatihülle   …
    Aber Handy und Funkwecker unterscheiden sich wesentlich voneinander:
    So verstrich die Zeit, und wir standen an dieser kleinen Weggabelung. Vor uns dichtes Gestrüpp, hinter uns lichter Wald. Über Wildschweine machten wir uns längst keine Gedanken mehr. Jeder starrte gebannt auf sein GP S-Gerät und korrigierte beständig seine Position. Schließlich war der Satellitenempfang im Wald nicht gerade berauschend. Nach einer Weile befanden wir uns etwa 15   Meter auseinander, da wir immer mit Geräten von zwei verschiedenen Herstellern unterwegs waren. Ihr wisst schon: ein Magellan und ein Garmin, und jedes Gerät will es mal wieder besser wissen als das andere. Währenddessen wanderte unsere Gefährtin zwischen uns hin und her und verstand überhaupt nichts.
    So warteten wir also auf 00.00   Uhr MEZ. Es fehlten noch genau fünf Minuten. Die Silvesternacht im Jahr 1999 war garantiert nicht spannender: Holten uns nun die Außerirdischen, oder bewiesen sie guten Geschmack und entführten die Bewohner eines anderen Planeten?
    Plötzlich ein Geräusch. Direkt aus dem Dickicht. Und da sahen wir sie auch schon wieder: die Augen. Diesmal zwei Paarenebeneinander. Machte insgesamt vier. Während wir Männer, vollgepumpt mit Adrenalin bis unter die Haarspitzen, so böse zurückstarrten, dass das Tier vor Angst zitterte und beinahe auseinandergefallen wäre, rief unsere Begleiterin, nun da sie das Leuchten mit eigenen Augen sah: «Hilfä, Hilfäääää!»
    Nun war es mit unserer Beherrschung vorbei, wir rannten zu ihr hin und halfen! Wir redeten auf sie ein, stützten ihren schwankenden Körper, sangen ihr Lieder vor, zitierten Voltaire.
    Da ertönte auf einmal ein leises «Piep, piep»   … Pause. Dann wieder: «Piep, piep.» Es war der Wecker. Wir ließen Tobis Freundin einfach fallen und folgten dem Ton. Indem wir uns die Hände hinter die Ohren hielten, verstärkten wir unsere auditive Wahrnehmung. Wie die Empfangsstation eines Echolots drehten wir uns um die eigene Achse, um den lautesten Ton zu erhaschen und ein paar Schritte in die richtige Richtung zu gehen. Das Piepen führte uns vom Weg ab, mitten hinein in den undurchdringlichen Dschungel voller kleiner Bäume. Wir blieben wieder stehen, dann orten, dann gehen, orten, gehen, orten, gehen. Derweil machte es:

    DONG!
    Ich war mit dem Kopf gegen ein Gerüst geknallt. Hier steckte in einer daran befestigten Kiste der Wecker. Es klang wie Musik in meinen Ohren, nur leider nicht der Wecker, sondern die Kopfschmerzen.
    Als die Schmerzen und das Piepen nachgelassen hatten, sah ich mich ein wenig um. Ja, das war mal eine Cachesuche, wie ich sie mir immer ausgemalt hatte. Nachts im Wald die Natur erleben. Dazu einen digitalen Wecker mit seinem absolut natürlichen digitalen Piepen hören. Ich setzte mich erst mal hin – und stand sofort wieder auf. Der Boden war nass.
    Der Owner war wirklich sehr geschickt gewesen. Mitten im Wald stand ein alter, verlassener Turm in der Größe eines Jägersitzes, an dem ein Metallkasten angebracht war. Die alte Verteilerdose, die den Turm wohl mal mit Strom versorgt hatte, war das ideale Versteck für den Wecker – und wasserdicht dazu.
    «Wir haben ihn!», rief ich laut durch den

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