Aufzeichnungen eines Schnitzeljägers
Wald.
«Ja, wir haben ihn!», fielen die anderen in mein Rufen ein, und wir lachten uns freudestrahlend an.
«Wie geht es jetzt weiter? Lies vor!», sagte Tobi aufgeregt.
«Hab den Zettel im Auto gelassen», erwiderte ich kleinlaut. «Ist aber ganz einfach, wir müssen in vier bis fünf Metern Entfernung nach einem Hinweis suchen, der uns dann zum endgültigen Versteck führt.»
Unsere Gefährtin stutzte. «Ihr geht ohne Beschreibung auf eine Schnitzeljagd?», fragte sie ungläubig.
«Na klar, wenn die Aufgaben einfach zu meistern sind, rennen wir dafür nicht nochmal zum Wagen zurück. Also, auf geht’s. Irgendwo muss ein Hinweis sein, vielleicht in einer Dose vergraben oder so.»
Voller Elan fingen wir an, uns durch das Gelände zu schlagen. Zum Glück war der dichte Bewuchs mit kleinen, jungen Bäumennicht bis zu dem Turm vorgedrungen. Die Bäume standen etwas weiter auseinander und ließen viel Raum für Versteckmöglichkeiten. Ich suchte zuerst einen vermoderten Baumstumpf nach dem nächsten ab, schaute zwischen den Wurzeln nach und blickte in ein tiefes Loch aus verfaultem Holz. Dann drehte ich mich um und nahm mir das Gras vor. Tobi untersuchte derweil einen Baum nach dem anderen. War etwas in das Holz geritzt oder zwischen der Rinde versteckt? Hatte der Owner vielleicht ein Astloch genutzt? Als er damit fertig war, kamen die Baumstümpfe dran.
An dieser Stelle muss ich der uns begleitenden Erstcacherin meinen Respekt aussprechen. Sie durchkämmte nämlich das Gras, wendete Steine und drehte fast jedes Blatt auf dem Boden um und sah nach, ob nicht doch vielleicht irgendwas versteckt war. Anschließend wandte sie sich auch noch den Bäumen zu.
Aber das Schicksal meinte es nicht gut mit uns. Wir bemühten uns nach Kräften, wir hatten inzwischen alles mehrmals durch-, ge-, unter- und besucht, außerdem den gesamten Waldboden umgegraben und nebenbei das Bernsteinzimmer gefunden, aber keinen einzigen Hinweis auf den Cache. Gebeugt, gedemütigt und mit einem Anflug von Depression auf der Seele schlichen wir wenig später zurück zum Wagen. Wir waren vor lauter Trauer und Enttäuschung nicht in der Lage, auf unsere Angst zu hören, und während wir den Weg entlanggingen, besprachen wir das Erlebte.
«Das kann nicht sein», sagte ich mit schwacher Stimme.
«Der Hinweis muss da irgendwo liegen», fügte Tobi ermattet hinzu.
«Es waren höchstens vier oder fünf Meter», erklärte ich.
«Habt ihr auch wirklich ÜBERALL gesucht?», fragte unsere Begleiterin.
«Ja, der Cache muss geräubert worden sein.»
Am Auto angekommen, stiegen wir wortlos ein. Ich setzte mich auf den Rücksitz und hob die dort liegengebliebene Beschreibung vom Fußboden auf. Missmutig las ich sie noch einmal durch. Und da standen sie, die «». Ja, sie sahen komisch aus, diese «», aber sie waren enorm wichtig. Denn das Wort Entfernung stand in Anführungszeichen, also «Entfernung». Mir war sofort klar, wo der Cache lag: im Turm. Es ging nicht um einen Umkreis von vier oder fünf Metern, sondern um die entsprechende Höhe … Ich hatte versagt. Ich hatte die Cachebeschreibung erst nicht genau gelesen, sie dann vergessen und zu allem Übel auch noch falsch in Erinnerung gehabt.
«Oh!», entfuhr es mir.
«Was?», kam es einstimmig von den beiden vorderen Sitzen zurück.
«Ähm … nichts», presste ich hervor, während ich versuchte, mich hinter dem halb gefalteten DIN-A 4-Blatt zu verstecken.
«Okay», sagten sie unisono.
Aber Tobi muss dieses kleine Zögern in meinem «Ähm» gehört haben. Er hat einen untrüglichen Instinkt, bei Menschen das Unangenehme zu erspüren. Mit einem «Zeig mal!» riss er mir die Beschreibung aus der Hand und las sie durch. Er las sie gleich nochmal. Im Rückspiegel konnte ich erkennen, wie er die Augen schloss, dann ein paarmal tief ein- und ausatmete und die Zeilen schließlich ein drittes Mal las. Dann öffnete er die Fahrertür, stieg ohne ein Wort aus und schlug sie zu. Ich rechnete mit dem Schlimmsten. Er würde mich sicher gleich aus dem Auto zerren, über den Boden bis zurück zum Wecker schleifen, mich dort an den Turm binden und mir – für alle Wildschweine deutlich sichtbar – «Ich bin eine Kastanie» auf die Stirn schreiben.
Nichts davon geschah. Wir sahen ihn, hörten ihn jedoch nicht.Er sprang herum, trat gegen Bäume, riss die Arme zum Himmel empor. Irgendwann wurde er ruhiger. Er kam zum Auto zurück, setzte sich hinters Lenkrad und fuhr los mit den Worten: «Ist doch
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