Aufzeichnungen eines Schnitzeljägers
Hände in die Hüften gestemmt, und sagten: «Mädel, damit eines klar ist: Das hier ist eine echt harte Nummer. Es ist dunkel, es ist Nacht, und der Feind liegt irgendwo da draußen im Dickicht. Er ist in ein oder zwei eklig nassen Plastiktüten vergraben und unter einer Baumwurzel mit Stöcken, Steinen und Laub so versteckt, dass es unsere gesamte Aufmerksamkeit und volle Konzentration erfordert, ihn zu finden. So wartet er darauf, sich mit oder besser AN uns zu messen. Und du? Dir ist der Boden wohl zu schlammig, was? – Okay, wir helfen dir.» Mit diesen Worten warf ich mich auf den Boden, damit sie ihre von Wasser und Schlamm gepeinigten Schuhe schonen konnte. Tobi hielt ihr die Hand, damit sie auf meinem muskelgestählten und perfekt definierten Rücken nicht stolperte.
Dann gingen wir weiter.
Wie jedes Mal, wenn Tobi und ich gemeinsam unterwegs sind, hatten wir die ganze Zeit unsere Taschenlampen an, damit ein eventueller Jäger nicht auf die Idee kam, einfach mal blind auf ein sich bewegendes Ziel zu schießen. Gut, es mag durchaus den einen oder anderen Jäger geben, der denkt: Super, mein Ziel leuchtet, das wird einfach. Aber von denen hat mir noch nie jemand erzählt. Wie auch?
Der Feldweg machte erst einen Bogen nach links, dann einen nach rechts. Während auf der einen Seite ein offenes Feld einen weiten Blick durch die Nacht ermöglichte und in der Ferne ein paar vereinzelte Lichter die dort liegenden Häuser erahnen ließen, sahen wir zu unserer Rechten in ein großes, dunkles Nichts. Das war der Tannenwald. Zum Glück hatten wir künstliches Licht dabei. Mit den Stirnlampen erhellten wir also den Weg und die weitere Strecke, und zwischendurch richtete ich meine Shure-Lampe, die ansonsten dazu benutzt wird, um Bundesligastadien auszuleuchten, immer mal wieder auf den Wald. Auf einmal sah ich sie: zwei Reflektoren. Direkt nebeneinander.
Ich rief Tobi zu mir und sagte: «Dieser Idiot. Man soll den Cache hören, dabei kann man ihn jetzt schon sehen.» Auf einmal verschwanden die beiden Punkte und tauchten etwas weiter links wieder auf. Dann waren sie plötzlich erneut weg und kurz darauf an einer anderen Stelle wieder da. Wir schauten uns an. Ich dachte spontan: ein Wildschwein, doch Tobi wusste es besser.
«Ein Wildschwein», sagte er, während seine Freundin sagte: «Schon wieder in eine Pfütze getreten.»
Wir ignorierten die Bemerkung und wurden uns über eines klar: Das, was da im Wald herumlief, war echt. Es lebte, und es wusste, dass es lebte.
Während Tobi so sehr mit den Knien schlotterte, dass er langsam im Morast versank, lief mir das Wasser im Mund zusammen. Da ich jedoch meinen Schnellbräter ausnahmsweise mal nicht dabeihatte, verwarf ich den Gedanken, an Ort und Stelle zu kochen, gleich wieder.
Unsere Begleiterin dagegen schien keinerlei Angst zu haben. «Ach, so ein Wildschwein …», sagte sie völlig entspannt. «Die sind doch süß … Vielleicht ist es auch ein Reh … Ihr stellt euchvielleicht an, Jungs.» Wie schön es ist, naiv zu sein, wurde uns nie wieder so bewusst wie in jenem Moment. Aber es war klar, wir Männer waren jedenfalls auf den Tod im Allgemeinen und das Sterben für unsere hehren Ziele im Besonderen vorbereitet. 47
Langsam setzten wir unseren Weg fort und leuchteten dabei die ganze Zeit über mit einer Lampe in den Wald. Wir wussten, wir sollten uns am besten einfach normal bewegen, schließlich sind die meisten großen Tiere Fluchttiere und haben mehr Angst als der Mensch. Nur ob die Tiere in dem Tannenwald das auch wussten, konnte uns keiner sagen.
Falls dem so war, würden sie uns zumindest nicht angreifen,denn wir versuchten, während wir voranschritten, möglichst viel Lärm zu machen. Das mögen Wildschweine bestimmt nicht, dachten wir uns, und fliehen. Zumindest wird das immer behauptet. Ich glaube vielmehr, die armen Viecher denken dann einfach nur: Wenn jemand so blöd ist und mitten in der Nacht lärmend durch den Wald rennt, muss er derart grenzdebil sein, dass er kaum in der Lage sein wird, sich so zu ernähren, dass sein Körper eine echte kulinarische Alternative zu Eicheln und Kastanien darstellt.
Nach einer uns unendlich lang vorkommenden Zeitspanne von letztendlich zehn Minuten erreichten wir die Stelle, an der es zu lauschen galt. Es war eine Weggabelung, und wir warteten geduldig. Tobi und ich waren in Gedanken noch immer bei den Wildschweinen. Kamen die Tiere jetzt, um uns zu holen? Sicherheitshalber suchten wir uns schon
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