Aufzeichnungen eines Schnitzeljägers
«strecken» und «beugen» nicht mehr fehlerfrei auseinanderhalten.
Spät, zerschunden und auch sonst völlig fertig kamen wir schließlich im Theater an. Genauer: ganze eineinhalb Stunden zu spät. Zum Soundcheck blieb kaum noch Zeit, und wir hatten das gesamte Technikerteam vor Ort warten lassen. Ich stieg aus. In Wanderschuhen und am ganzen Körper mit Dreck besudelt, ging ich rechts, links, nein links, nein rechts, egal … ich machte mich also auf den Weg zum Theaterchef. Um die Beichte abzulegen und jede Form von Buße anzunehmen.
Er stand in der Tür, und im Gegenlicht war nur seine Silhouette zu erkennen. Er war groß, er war kräftig, er war wütend. Sein Oberkörper bewegte sich langsam vor und zurück, seine Arme, die er vor der Brust verschränkt hielt, waren nicht zu sehen. Er trat aus der Tür in den Fadenschein einer Bogenlampe. Sein versteinerter Blick blieb an meinem Körper hängen. Dann umspielte ein Lächeln sein Gesicht, er lachte und fragte: «Na, auch so ein Künstler, der ständig einpennt, und einen Techniker hat, der zu blöde ist, den Weg allein zu finden?»
Ich schwieg, lächelte und sagte: «Man kann sich die Leute eben nicht aussuchen.»
ALTE SPIELE NEU ENTDECKT
Wenn man mit diesem Hobby anfängt und sich in den entsprechenden Internetplattformen herumtreibt, wenn man hier und da ein Forum besucht und den ein oder anderen Cacher befragt, der einem in Fleisch und Blut gegenübersteht, dann gibt es meist relativ früh einen Cache, der einem sofort ins Auge fällt. Man liest davon und denkt «Och!» oder «Ui!» oder «Aha!». Die Tage und Wochen ziehen ins Land, immer wieder sieht man sich diese besondere Herausforderung an, und die Reaktionen werden allmählich auffälliger: «Nein!» oder «Ehrlich?» oder «Das gibt’s doch nicht!»
Trotzdem kommt man nicht dazu, sich näher mit dem Thema zu befassen. Irgendwann ist man dann aber so weit, die nötige Erfahrung ist gesammelt, die Fähigkeit, sich einen Überblick zu verschaffen, ist vorhanden. Von ganz hinten, aus der letzten Ecke des Bewusstseins, einer Ecke, in der man in einer Wohnung längst vergessene Socken finden würde oder den Impfpass aus den 1970ern, genau von da schiebt sich plötzlich wieder dieser Cache nach vorne. Auf einmal denkt man: «Den muss ich haben!» oder «Ohne den ist das alles nichts» oder «Mann, wie geil, die Idee ist super.» Ich will endlich einer von denen sein, denn das ist die Krönung des Ganzen! Während man nun die Socke in die Schublade wirft und den Impfpass zu den Krankenkassenunterlagen legt, entscheidet man sich: Jetzt ist er reif.
Genauso war es auch bei mir mit einem ganz bestimmten Cache. Ich mache es jetzt mal spannend, denn er hat es verdient. Dieser Cache besteht aus vielen einzelnen Caches. Hat man sie alle gefunden, ergeben sich durch Kombination und Rechenkunst die endgültigen Cachekoordinaten. Schon wenn man alleKoordinaten bei Google Earth eingegeben hat, staunt man ob des faszinierenden Erscheinungsbildes: ein Quadrat, bestehend aus vier mal vier Traditionals. Darüber, mittig angeordnet, das Fragezeichen. Folglich sind hier nicht die Koordinaten genannt, die man bloß aufsuchen muss, sondern hier muss man erst aus den Funden an den anderen Stationen schließen, wo der letzte Cache liegt.
Spätestens jetzt wissen die Eingeweihten, die Auserwählten, die Geocache-Jünger, wovon ich rede: dem «FRANKENMEMORY»!
Schon wenn ich es niederschreibe, dieses Wort, Frankenmemory, und dabei jeden einzelnen Buchstaben genieße: F – R – A – N – K – E – N – M – E – M – O – R – Y, läuft mir ein leichter Schauer den Rücken hinunter. Er hält kurz zwischen Brustwirbel vier und fünf an, rennt noch einmal hoch und läuft erneut hinab, diesmal bis zu der Stelle, wo der Kniereflex 64 ausgelöst wird, und verteilt sich bis in die Beine, die mich fast schwebenlassen würden, wenn ich nicht auf einem Stuhl säße und die nach oben gleitenden Beine mich mitsamt Sitzgelegenheit nach hinten kippen ließen.
Wie oft habe ich sanft über den Bildschirm gestreichelt, um diesem Cache wenigstens mental nah zu sein. Er ist unglaublich schön anzusehen: Alle 16 Stationen liegen aufgereiht wie auf vier Perlenschnüren vor einem. Überall muss ein Tier erraten werden. Von jedem Tier gibt es zwei, und danach muss man mit Hilfe einer Rechenregel 65 den «Lohn der Mühe» finden.
Irgendwann ging es tatsächlich los: Tobi und ich mussten nach Ilmenau. Der Weg dorthin führte
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