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Aufzeichnungen eines Schnitzeljägers

Aufzeichnungen eines Schnitzeljägers

Titel: Aufzeichnungen eines Schnitzeljägers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Hoëcker
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und sagte zu Tobi: «Was ist? Dir habich auch schon oft gesagt, du siehst gut aus», nur um zu merken, dass er schon längst auf dem Weg zu ein paar Schildern war, auf denen die Entfernungsangaben abzulesen waren. Ich also raus, Wanderschuhe an und nichts wie Tobi hinterher.
    Schon auf den ersten Metern merkte ich, dass der warme Frühlingstag samt strahlender Sonne mit dicken Socken in Wanderschuhen sowie Jeans und Pulli nicht zwingend die beste Kombination von Kleidung und Wetter war, die man sich für eine kleine Wanderung vorstellen kann. Aber wir hatten sowieso kaum Zeit, wieso also umkehren, wir waren bestimmt schnell zurück.
    Jedenfalls standen wir an unserer ersten Station und errechneten die Koordinaten des Finals. 1,3   Kilometer NNW. Seltsam. Warum hatten die anderen nur so lange gebraucht? 1,3   Kilometer – das schafft man doch normalerweise in knapp 45   Minuten, das ist doch kein Problem, dachte ich.
    Wir schlenderten los, und während der Weg immer weiter von der Linie zum Ziel, die als Gerade auf dem Display des Gerätes angezeigt wurde, abwich und sich die Angabe «Entfernung zum Ziel» nicht ganz in der Geschwindigkeit änderte, wie es sich für uns anfühlte, öffnete sich leise ein kleines Samenkorn des Zweifels, ob wir das in einer Stunde tatsächlich hinbekämen. Noch bemerkten wir es kaum, wir hatten schließlich auf den Weg zu achten, und der war schon kompliziert genug, denn wir gingen nicht querfeldein, da es das Gelände nicht zuließ, sondern mussten den vorgegebenen Wanderwegen folgen.
    Nach zehn Minuten kamen wir an eine Kreuzung, genau genommen an eine T-Kreuzung . Es ging nach rechts und links. Laut der Richtungsanzeige unserer GP S-Geräte mussten wir jedoch geradeaus. Ein kurzer Blick auf die sich vor uns befindliche Felswand machte uns deutlich: Die Wahlmöglichkeiten «links» und «rechts» waren von den zuständigen Straßenverkehrsplanernnicht willkürlich gewählt, sondern als einzige Option für den Straßenbau in dieser Situation erkannt worden.
    «Links», sagte ich, denn ich hatte die Topo-Karten. Abgesehen davon kann ich Wege erkennen, von denen nicht einmal die Wege wissen, dass sie existieren.
    «Rechts», sagte Tobi. Er hatte zwar keine Argumente, klang aber irgendwie sehr sicher.
    «Links!» Ich sah doch, dass wir nur dem Weg folgen und dann später wieder rechts hochgehen konnten.
    «Rechts», sagte er, immer noch ohne Argumente, klang aber irgendwie immer noch sicher.
    «Links», sagte ich.
    «Rechts», sagte er.
    «Links», sagte ich.
    «Rechts», sagte er.
    «Rechts», sagte ich.
    «Na also!», sagte er.
    Wir gingen rechts, und ich hatte zumindest das Gefühl, dass er auf mich gehört hatte. Aber irgendwie blieben eine seltsame Leere und Zweifel in mir zurück. Dann ging es auch schon los: Nicht nur, dass der eigentlich kurze Weg von 1,3   Kilometern Luftlinie kurzerhand beschlossen hatte, sich serpentinenartig durch den Wald zu schlängeln, nein, er musste auch noch in möglichst kurzer Zeit möglichst viel an Höhe gewinnen. Zum Glück bin ich ein begnadeter Bergwanderer, der schon ganz andere Steigungen gemeistert und frohen Mutes auf einigen Gipfeln, vor allem der schönen österreichischen Alpen, gestanden hat. Aber hier im Taunus   … die wissen doch, dass es Sessellifte gibt.
    Nassgeschwitzt erreichten wir das, was sich uns als oberes Ende des Weges andeutete. Normalerweise geht man solche Strecken gemächlich und mit konstantem Rhythmus. Damitder Körper gar nicht merkt, was man mit ihm vorhat, und irgendwann erwacht und sagt: «Huch, wo habe ich mich denn da hinbefördert?» Aber diesmal waren wir aufgrund des Zeitdrucks etwas zügiger unterwegs. Unsere Körper hatten es sehr wohl bemerkt und die ganze Zeit gerufen: «Hallo? Haaalloooo! Wo wollt ihr denn mit uns hin, nehmt uns bitte mit!»
    Oben angekommen, mussten wir uns kurz orientieren. Ich analysierte schnell die Lage, legte den Streckenverlauf vor, zog ein Lot, bemühte Thales 61 , und dann gingen wir einen kleinen Wiesenpfad entlang, den Tobi für den richtigen hielt. Der Weg wurde immer enger, immer wiesiger (will sagen nasser) und führte bergab. Der leichten Entspannung war leider abträglich, dass mir da schon klar war, diese Strecke mussten wir wieder bergauf. Unseren Zweifel, es noch pünktlich schaffen zu können, der in der Zwischenzeit zu einem kleinen Setzling herangewachsen war und schon die ersten kleinen Wurzeln nach unten ins schlechte Gewissen schlug, bemerkte ich zu diesem

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