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Aufzeichnungen eines Schnitzeljägers

Aufzeichnungen eines Schnitzeljägers

Titel: Aufzeichnungen eines Schnitzeljägers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Hoëcker
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«Ja, hier nicht, aber dort», und zeigte auf die Stelle, wo der Cache lag.
    Er entdeckte ihn sofort. Leider konnte ich sein Gesicht nicht erkennen, aber die diversen Lehmschichten bewegten sich so sehr, dass es ein Lächeln gewesen sein kann – oder auch ein Fluch.
    Auspacken, loggen und wieder verstecken ging schnell, schließlich hatten wir es eilig, und unsere Suche hatte weitere 20   Minuten gedauert. Inzwischen war es schon nach 17.00   Uhr, wir sollten längst wieder mit dem Auto unterwegs sein, und wir mussten noch den ganzen Weg zurück.
    Es hieß also: joggen!
    Wir verstauten alle frei beweglichen Gegenstände. Gut, das klingt jetzt unglaublich professionell, aber im Prinzip hat Tobi bloß seinen Rucksack aufgesetzt. Dann sprinteten wir los.
    Da es nicht so viele Wege in dieser Gegend gab, kamen wir sehr gut zurecht, auch ohne dauernd auf das GP S-Gerät zu starren. Es ging bergab, das machte das Ganze etwas einfacher. Die kurzen Stücke bergauf nutzen wir zur aktiven Erholung. Ja, das gibt’s, das habe ich bereits als Kind beim Sportunterrichtgemacht. Ist wahrscheinlich eine längst überholte sportmedizinische Theorie, die ich damals schon scheiße fand, die aber auch diesmal wieder großen Eindruck bei Tobi hinterlassen hat, als sie so unwillkürlich aus meinem Mund herausströmte.
    Aus dem Wald ging es durch die kleine Senke, auf der anderen Seite wieder hoch, eine scharfe Biegung entlang und über eine uns unbekannte Wiese. Ich dachte mir nichts dabei, weil ja auf dem Rückweg alles anders aussieht. Ein Problem, mit dem übrigens auch die Schwalben zu kämpfen haben, wenn sie ihr Nest zwischen zwei Sprossen an einer waagerecht aufgehängten Leiter bauen. 63
    Während ich so über die Strecke, die Schwalben und das Leben nachdachte, wunderte ich mich, warum der Weg mir ebenfalls völlig unbekannt vorkam, wenn ich zurückblickte. Das Einzige, was noch genauso aussah wie vorher, war Tobi. Denn der hatte in der Zwischenzeit den halben Taunus an seinem Körper verloren und war wieder als solcher zu erkennen. Nicht als Taunus, als Tobi.
    Wir blieben stehen und warfen endlich wieder einen Blick auf unsere GP S-Geräte . Ja, alles klar, wir waren falsch. 400   Meterweiter südlich, als wir sollten, das war zu verkraften, aber auch 200   Meter weiter unten, und das war schon etwas dümmer.
    Während wir uns, wie es so unsere Art ist, durch den Wald querfeldein nach oben schleppten, völlig im Unklaren darüber, wo unsere Körper diese Kraftreserven noch hernahmen, überlegten wir, ab wann wir falsch gelaufen sein könnten.
    Genau genommen überlegten wir natürlich nicht sofort, sondern wiederholten erst mal stundenlang: «Das kann nicht sein!» – «Das Gerät ist kaputt!» – «Deines auch!» – «Eher ungewöhnlich!» – «Lag es an uns?» – «Nöö!» – «Na ja, vielleicht schon?» – «Ich sag nur rechts   … links   … rechts.»
    Irgendwann wurde uns klar, dass es in dem kleinen Tal passiert sein musste. Der Weg war schräg nach oben abgegangen, wir dagegen waren weiter geradeaus nach unten in die Senke gelaufen, um danach erst oben das Tal wieder zu verlassen. Indem uns diese Tatsache klar wurde, schlug der Zweifel, jemals pünktlich das Theater zu erreichen, mit voller Wucht durch. Wir würden noch einmal 20   Minuten später ankommen. Wahrscheinlich! Der Setzling war eine Pflanze, war ein Baum geworden, die Wurzeln gruben sich bereits durch mein schlechtes Gewissen und erzeugten immer tiefere Risse. Mit Scham und Schande würden wir das Theater erreichen. Und sie würden uns keine einzige Ausrede abnehmen. Glauben würden sie uns nur einen Satz: «Wir sind schuld, Asche auf unser Haupt.» Genau so sahen wir auch aus.
    Wir rannten, nein spurteten den restlichen Weg zu unserem Auto. Das Schwitzen hatten wir längst aufgegeben, dafür hatten unsere Körper keine Reserven mehr. Bei jedem Schritt schrien unsere gepeinigten Muskeln laut: «Nein!» Die Knochen ächzten und stöhnten unter der Belastung, die sie jetzt schon seit über zwei Stunden aushalten mussten.
    Am Wagen angekommen, krochen wir nur noch über den Boden.Die Tür per Fernsteuerung zu entriegeln und kniend zu öffnen, kostete uns die letzte Kraft. Völlig erschöpft hielten wir uns an den in Schlafposition befindlichen Sitzen fest. Als sie, durch die automatische Sitzeinstellung gesteuert, in die aufrechte Position zurückfuhren, nahmen sie uns dankenswerterweise mit hoch. Unsere Knie konnten schon lange die Begriffe

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