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Auge des Mondes

Titel: Auge des Mondes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Riebe
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diesem unerträglichen Wartezustand geriet alles zu gerinnendem Blei, fühlte sich mühsam an, zähflüssig, unerfreulich. Sogar Bastet zeigte sich launisch, kam kurz, fraß ausgiebig und verschwand danach schnell wieder, als treibe sie eine unsichtbare Kraft an geheimnisvolle Orte. Dann blieb sie ganz aus und Mina versuchte, einigermaßen ruhig zu bleiben. Sie wird wiederkommen, sagte sie sich ein um das andere Mal. Sie weiß, dass sie ein neues Zuhause gefunden hat und es nirgendwo anders besser treffen könnte, als bei mir.
    Diese Beschwichtigungen verschlangen einiges an Kraft, und manchmal fühlte sie sich zwischendrin so mutlos, dass sie am liebsten den ganzen Tag lethargisch im Bett verbracht hätte. Nicht einmal das Erzählen brachte sie in den gewohnten Schwung, obwohl sie sich bei der Auswahl der Märchen sogar größere Mühe gab als sonst. Zwar hielten ihr viele der Frauen die Treue, aber es fiel doch auf, dass es weniger wurden, die sich zur gewohnten Stunde auf dem Markt einfanden. Sedi und die Räucherschwestern schienen aufzuatmen, gab es doch für sie endlich wieder Gelegenheit, ein paar Zuhörerinnen auf ihre Seite zu ziehen; sogar der schläfrige Kaiman wurde auf einmal lebhafter und hätte in neu erwachtem Übermut beinahe einen kleinen Jungen in die Wade gebissen.
    Um vor lauter Warten und Bangen nicht den Verstand zu verlieren, kramte Mina aus ihrem Reservoir den Katze-Mäuse-Krieg hervor, eher eine Tierfabel als ein Märchen, mit einer ordentlichen Prise derben Humors gewürzt und auf die richtige Weise vorgetragen, stets eine sichere Sache. Die Mär von den neunmalklugen Mäusen, die versuchten, die Ordnung auf den Kopf zu stellen, indem sie sich zu einem bewaffneten Heer organisierten und zu Herrschern über die Katze erhoben, zeigte auch dieses Mal die gewünschte Wirkung.
    Die meisten Frauen lächelten, als sie am Ende angelangt war, viele lachten sogar laut auf, nachdem die Katze sich schließlich auf listige Weise von ihren Fesseln befreit und den Mäusen eindrucksvoll gezeigt hatte, wer hier Herrin im Haus war. Besonders die Kinder kicherten und giggelten und konnten von den lustigen Bildern gar nicht genug bekommen.
    Während Mina noch ihre Gaben sortierte, trat eine alte Frau zu ihr.
    »Mein ältester Enkel arbeitet in den Kornspeichern«, sagte sie. »Du weißt schon, die großen, mehrstöckigen Gebäude unten am Hafen.«
    Mina nickte. Jedes Kind in der Stadt wusste, wo sich der beste Garant gegen drohende Hungersnöte befand. Es war einige Jahre her, dass der Pharao die Scheunen hatte öffnen lassen, um Notrationen an die Bevölkerung zu verteilen, damit niemand hungern musste, aber noch immer sprachen die Menschen in Per-Bastet mit Hochachtung davon. Vor jeder Flut wurden die alten Ängste wieder wach. Würden die Götter sich auch dieses Jahr gnädig erweisen und den großen Fluss steigen lassen, um Fruchtbarkeit für das Schwarze Land zu bringen?
    »Er sagt, die Mäuse würden dort immer zahlreicher. Und dreister. Eine regelrechte Plage. Genauso, wie eben in deinem Märchen.«
    »Werden dort nicht besonders viele Katzen gehalten«, fragte Mina, »damit genau das nicht passiert?«
    »Das ist es ja.« Die Frau senkte die Stimme, und ihr schütterer grauer Schopf begann zu zittern, so aufgeregt schien sie auf einmal. »Die Katzen verschwinden. Von Tag zu Tag werden es weniger. Mein Enkel hat schon mit den anderen Männern dort gesprochen, auch mit seinem Vorarbeiter. Aber geschehen ist nichts. Gar nichts.«
    Sie fuhr sich mit der breiten Hand über das Gesicht, als könne sie die Sorgen einfach wegwischen.
    »Ganz im Gegenteil! Seine Wachsamkeit hat ihm nichts als Ärger beschert, richtigen Ärger, wenn du verstehst, was ich meine. Abgerückt sind sie von ihm, als plage ihn plötzlich eine ansteckende Krankheit. Die übelsten Arbeiten muss er jetzt verrichten, dabei stand er schon kurz vor einer Beförderung. Einen Narr und Trunkenbold schimpfen sie ihn, der nicht mehr klar im Kopf sei. Dabei macht sich mein Benia nichts aus Bier und hat seine Sinne stets beieinander!«
    Sofort fiel Mina Scheri wieder ein und das, was sie über die bärtigen Männer und ihre Käfige gesagt hatte. Und wenn sie der Freundin unrecht getan hatte, weil diese gewissenhafter beobachtete, was alle anderen nicht wahrhaben wollten? Wie aus einem Nebel stieg zudem Senmuts unbewegte Miene vor ihr empor. Er wusste mehr, als er gesagt hatte. Plötzlich war Mina sich beinahe sicher.
    »Könnte ich vielleicht einmal

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