Auge des Mondes
inzwischen mit ihm angestellt hatten? Hatten sie ihn verhört? Geschlagen? Vielleicht sogar gefoltert?
In der ganzen Stadt war bekannt, dass die Methoden des Satrapen alles andere als zimperlich waren. Wie hatte sie sich nur auf diese unvernünftig lange Frist einlassen können? Sie musste verrückt gewesen sein, Numis Vorschlag anzunehmen.
»Wenn du so heiß bist wie jetzt«, sagte Iset, »siehst du beinahe wieder aus wie damals, als Chai dich ins Haus gebracht hat.«
»Ich bin nicht heiß«, protestierte Mina matt, obwohl sie wusste, wie recht die andere hatte. »Erspar mir also bitte dein Gerede!«
»Und ob du das bist! So heiß, dass man im Vorübergehen eine Binse an dir entzünden könnte. Wo steckt er eigentlich, dein Angebeteter? Oder gibt es triftige Gründe, ihn lieber nicht vorzuzeigen? Ist er hässlich? Verheiratet? Ein Schuft? Oder will er etwa gar nichts von dir wissen?«
»Ich muss nichts und niemanden vorzeigen, und erst recht nicht dir …«
»Schon gut, schon gut!« Iset trat den Rückzug an. »Ich werde jetzt erst einmal einen großen Topf Hühnersuppe aufsetzen, damit dein mageres Katzenvieh bei einem seiner kostbaren Besuche auch ein saftiges Abendessen vorfindet.«
Kaum war Iset im Küchenhof verschwunden, fehlte sie Mina mit ihrer kauzigen Brummigkeit. Allein gelassen, kehrte die Rastlosigkeit schnell wieder zurück, stärker noch als zuvor.
Was sollte sie tun?
Um den Markt machte sie heute besser einen großen Bogen. Sich in dieser Stimmung an Märchen zu vergreifen wollte sie weder sich noch ihrem Publikum zumuten. Jenen Benia im zweiten Getreidespeicher hatte sie gestern verfehlt. Wenigstens wusste sie inzwischen, wann sein Dienst dort endete, und so konnte sie versuchen, ihn heute zur richtigen Zeit abzupassen. Doch bis es so weit war, mussten noch schier endlose Stunden herumgebracht werden.
Sie stöhnte, machte eine Runde durch den Garten und stellte fest, dass alles gut gegossen war, vom Unkraut befreit und in voller Blüte stand, seit der schweigsame Usi sich darum kümmerte. Außer ein paar welken Blättern, die sie aus alter Gewohnheit im Vorbeigehen abzupfte, gab es auch hier nichts für sie zu tun.
Mina stöhnte noch einmal, dieses Mal um einiges lauter.
So schwer es ihr auch fallen mochte, sie musste Tama und Rahotep einweihen. Sie waren Amenis Eltern. Sie verdienten es, Bescheid zu wissen.
Den ganzen Weg dorthin nahm sie sich vor, einsilbig, diplomatisch und so bescheiden wie nur irgend möglich zu sein. Sie kannte die beiden. Sie wusste, dass bereits wenige Worte genügten, um neuen Streit anzuzetteln.
»Diesmal nicht. Ich werde mich nicht provozieren lassen, egal, was immer er auch sagt.«
Eine ältere Frau war stehen geblieben und starrte sie neugierig an. Zwei junge Mädchen, die ihr entgegenkamen, stießen sich die Ellenbogen in die Rippen und begannen loszukichern. Brandheiß schoss Mina ein Schwall Röte ins Gesicht. Sie war auf dem besten Wege, wunderlich zu werden, redete mitten auf der Straße mit sich selber, ohne zu bemerken, was um sie herum vorging!
Den Rest des Weges legte sie schneller zurück, schaute nicht groß nach links und rechts. Trotzdem fiel ihr auf, dass deutlich weniger Katzen zu sehen waren. Sie schob es auf die bullige Hitze, auf ihre Eile und den Wunsch, das Ziel möglichst schnell zu erreichen. Es fiel ihr schwer, dabei nicht an Bastet zu denken und sich neue Sorgen zu machen.
Mehr als ein Hauch von Unsicherheit blieb zurück.
Für ihren Geschmack hatte Mina in letzter Zeit schon zu viele Geschichten gehört, die alle mit sichtbaren und dann plötzlich verschwundenen Katzen zu tun hatten, für sich betrachtet lediglich undeutende Bächlein, scheinbar ohne Verbindung nebeneinander her plätschernd, die aber vereint zu einem großen Fluss anschwellen konnten. Mit der Wahrheit verhält es sich ähnlich wie mit den Fluten des Nils, dachte sie, als sie in die Straße einbog, an der das Haus ihres Schwagers lag. Wenn sie sich erst einmal machtvoll den Weg bahnt, brechen alle Dämme.
Minas gute Vorsätze begannen bereits leicht zu bröckeln, als Tama ihr mit Grabesmiene öffnete.
»Gut siehst du aus«, sagte sie missmutig. »Wie eine Frau, die glücklich ist, während Tep und ich …« Sie hielt sich die Hand vor den Mund und begann zu schluchzen.
»Ist er zu Hause?«, fragte Mina. »Dann hol ihn bitte! Ich möchte euch beiden etwas sagen.«
»Das geht jetzt nicht«, flüsterte Tama. »Eine Kundin … eine seiner letzten …« Sie
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