Auge des Mondes
das es gerade erst zum Erstarren gebracht hatte.
Es war anders, als er sich es vorgestellt hatte, härter, unmittelbarer. Und es ließ ihn niemals los, nicht im Wachen und auch nicht im Träumen.
Huy merkte es daran, dass er jeglichen Appetit verlor. Hatte er schon beim Ziegelschleppen zusehen müssen, dass er genügend aß, damit wenigstens etwas Fleisch auf den Knochen blieb, so schien jetzt eine unsichtbare Flamme in ihm zu brennen, die gnadenlos alles wegfraß.
Er hatte keine Lust mehr zu reden, das kam noch dazu. Mit niemandem mehr. Nicht einmal mehr mit sich selber.
Wenn ihn endlich der Schlaf übermannte, überfielen ihn jedes Mal die Träume, jene schrecklichen Träume, die ihn erst gegen Mittag zerschlagen und müder als zuvor entließen. Kreaturen sah er vor sich, mit riesigen, zähnebewehrten Mäulern, aus denen ihm brandiger Atem entgegenschlug. Immer wieder versuchten sie ihn zu packen; immer wieder gelang es ihm im letzten Augenblick, sich in Sicherheit zu bringen.
Doch diese war trügerisch, niemand als er wusste besser, wie sehr. Denn kaum hatte er Atem geschöpft, zeigte sich schon das nächste Monstrum, noch größer, noch gefährlicher, noch unberechenbarer.
Jetzt sehnte er sich manchmal nach der öden Arbeit in der Nekropole zurück, die nur seinen Rücken krumm gemacht, sein Herz aber in Frieden gelassen hatte.
Was nützten ihm schon die zusätzlichen Deben, die er nun bekam? Was die neue Sonderration, die er kaum nach Hause hatte tragen wollen, so erschöpft fühlte er sich?
Die kleine Henet-Wati, die ihn seit Monaten halb um den Verstand brachte, so geschmeidig bewegte sie beim Gehen die Hüften, hatte sich angewidert abgewandt, als er ihr gestern ein gewebtes Band schenken wollte.
»Kannst du behalten.« Ihr niedliches Gesicht war ganz starr vor Abscheu gewesen. »Und lass dich bloß nie wieder bei mir blicken! Sonst kannst du was erleben!«
Zunächst hatte er ihre Abneigung auf seinen Bart geschoben, dieses schwarze Gestrüpp im Gesicht, das ihm inzwischen selber lästig war. Dann aber spürte er, dass es etwas anderes war, das sie abstieß. Er redete weiter, atemlos, obwohl er bereits ahnte, dass seine Chancen endgültig vertan waren.
»Aber weshalb denn nur? Es war alles andere als billig. Und es wird wundervoll aussehen in deinem dunklen Haar …«
»Du stinkst nach Tod, Huy. Als hätte Anubis dich soeben inniglich geküsst.«
Er starrte auf seinen rechten Arm. Die neue Wunde war lang und tief. Leuchtete brandigrot. Huy hob den Arm zur Nase. Schnupperte.
Henet-Wati hatte recht. Er konnte es auch riechen.
Mina wurde erst wieder ruhiger, als es dunkel geworden war und die Kühle des nächtlichen Gartens sie umfing. Einmal noch schlafen, dachte sie, während sie ihr Kleid ablegte, dann werde ich vor Aryandes stehen. Noch eine Nacht - und ich sehe Numi endlich wieder.
Er hatte sie in Ruhe gelassen, die ganzen Tage. Das rechnete sie ihm hoch an. Das konnte sie ihm kaum verzeihen.
Wahrscheinlich lebte er sein ganz alltägliches Leben, während sie vor lauter Anspannung halb verging. Ewas in ihr hatte sich verändert, etwas Entscheidendes, und Mina war sich nicht sicher, ob sie froh darüber oder eher gram deswegen sein sollte. Sie war nicht länger eine Zuschauerin am Rande des Geschehens, die unentdeckt am dunklen Ufer stehen konnte, während vor ihr auf einem hell erleuchteten Schiff in der Flussmitte das stattfand, was man gemeinhin Leben nannte.
Sie war plötzlich mittendrin.
»Verzeih mir, Chai«, sagte sie leise. »Du wirst immer einen Sonderplatz in meinem Herzen haben, das musst du wissen. Es ist nur so, dass ich ständig an ihn denken muss. Auch wenn er eine Tochter und vielleicht sogar sieben schöne Frauen hat.«
Für gewöhnlich zog sie sich schnell an und noch ungeduldiger aus, heute aber ließ sie sich Zeit, glitt nicht sofort ins Wasser, sondern unterzog sich im fahlen Schein des Sichelmondes einer ausführlichen Inspektion. Den polierten Bronzespiegel, den Chai ihr einst geschenkt hatte, konnte sie nicht befragen, der war viel zu klein und daher für ihre Zwecke ungeeignet. Sie musste die Augen über den ganzen Körper wandern lassen, um zu erfahren, was sie wissen wollte.
Ihre Augen anstatt der seinen. Ob sie sie jemals so sehen würden?
Sie betrachtete sich wie eine fremde Frau. Die Beine waren lang und schlank, wenngleich die Knie schon etwas von ihrer einstigen Geschmeidigkeit verloren hatten. Die Brüste bereiteten ihr noch die wenigsten Sorgen. Chai
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