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Auge des Mondes

Titel: Auge des Mondes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Riebe
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stürzte aus dem Zimmer.
    Minas Blick flog über all die Kannen und Krüge, die zahlreichen Truhen und Körbe. Offenbar hatte Rahotep sein Lager inzwischen ausgedehnt und beanspruchte so gut wie das gesamte Erdgeschoss des Hauses für seine Waren. Kein schlechtes Zeichen, wie sie fand. Obwohl er stets lauthals und ausgiebig klagte, fand er immer wieder Mittel und Wege, um sich durchzusetzen.
    Ganz ähnlich wie Chai, dachte Mina. Offenbar hatten die beiden ungleichen Brüder doch mehr gemeinsam, als sie gedacht hatte. Der Gedanke stimmte sie versöhnlicher, und als sie irgendwann hörte, wie Rahotep die Besucherin unter vielen Komplimenten hinausbegleitete, setzte sie vorsorglich ein Lächeln auf.
    Es erstarb allerdings schnell wieder, als Tama mit Tep kurz danach vor ihr auftauchte, beide so streng und unerbittlich wie das letzte Gericht der Maat.
    »Was hast du uns zu sagen?«, fragte Rahotep.
    »Ich werde mit ihm sprechen. Schon morgen. Der Satrap empfängt mich.«
    » Schon morgen!« Tamas Mundwinkel zitterten. »Das sagt sie, wo unser Junge schon seit vielen Tagen gefangen ist!«
    »Immerhin die beste aller Möglichkeiten. Und hätte ein Freund nicht tatkräftig mitgeholfen …«
    »Du hast Freunde am Hof des Satrapen?«, fiel der Schwager ihr ins Wort. »Und das erfahren wir erst jetzt, nachdem wir nahezu ruiniert sind?«
    »Eines nach dem anderen! Hör zu, Tep …«
    »Nein, du hörst jetzt einmal zu!«, bellte er. »Ich möchte dich an deine Verpflichtungen erinnern, deine Verpflichtungen gegenüber dieser Familie. Als du zu uns gekommen bist, warst du ein Nichts mit einem glatten Gesicht und einem hübschen Körper, so war das damals nämlich! Nur weil mein gutmütiger Bruder sich deiner angenommen hat, nur weil er dir seinen Namen gegeben hat, sein Haus, seine Ehre und alles, was er besessen hat, kannst du dich heute aufführen, als seiest du etwas Besseres. Aber das bist du nicht, Mina! Alles, was du heute darstellst, verdankst du Chai - und damit uns. Ich finde es sehr schade, dass ich dich daran erinnern muss. Aber du schuldest uns viel. Alles.«
    Er schnaufte, einem Flusspferd ähnlicher denn je, während Tama dazu nickte, monoton und unablässig, als könne sie gar nicht mehr damit aufhören.
    »Also«, brachte er schließlich hervor, »wer sind sie, diese angeblichen Freunde? Namen will ich. Und Positionen!«
    Sie hätte ihm sagen können, wie alles sich verhielt, ganz ähnlich wie vor ein paar Tagen, als er durch Zufall die goldene Münze unter dem Krug entdeckt hatte, aber etwas verschloss ihr abermals die Lippen. Stolz? Ärger? Trotz? Vermutlich eine Mischung aus allem. Jedenfalls war Mina nicht nach einer Erklärung zumute.
    »Was spielt das für eine Rolle?«, sagte sie. »Der Zweck heiligt die Mittel, so lautet er doch, dein Lieblingsspruch, den du sonst bei jeder Gelegenheit zum Besten gibst. Lass uns also erst einmal abwarten, ob ich Erfolg habe! Danach ist immer noch Zeit für Namen und Positionen.«
    Rahotep rang nach Luft, als sei er kurz vor dem Ersticken.
    »Du bringst ihn um«, keifte Tama. »Ist es das, was du vorhast? Genauso wie du Chai …«
    »Hol lieber schnell einen Becher Wasser!«, sagte Mina kühl. »Und hör endlich auf damit, ihn Tag und Nacht mit fettem Entenbraten zu mästen, sonst könntest du ihn tatsächlich bald verlieren.«
    Es war ihr gelungen, äußerlich ruhig zu bleiben, innerlich aber brodelte es in ihr, als sie sich wieder auf den Weg machte. Sie war kein Niemand, war es nie gewesen, auch wenn sie aus einer einfachen Familie stammte und Chais Bildung und feine Klugheit stets bewundert hatte. Keiner zu Hause war wie sie gewesen, die stets gierig nach Geschichten war, die heimlich zu sammeln sie schon als Kind begonnen hatte. Eine Einzelgängerin war sie gewesen, von manchen wegen ihrer ungewöhnlichen Vorliebe sogar als seltsam oder merkwürdig belächelt. Chai aber musste es geahnt haben, gleich von Anfang an. Er hatte etwas anderes in ihr gesehen als das hübsche Ding mit den ebenmäßigen Zügen. Hätte er sonst monatelang um sie geworben, bis ihr endlich die Augen aufgegangen waren und sie begonnen hatte, ihn zu lieben?
    »Du bist etwas Besonderes.« Seine Augen hatten geleuchtet, als sie ihm die ersten Märchen erzählt hatte, spielerisch, im Überschwang der frühen Verliebtheit. »Und besitzt eine besondere Gabe. Du kannst Menschen zum Lachen bringen und zum Weinen, zum Staunen und Nachdenken. Du brauchst dazu nicht einmal einen Faden wie die Weberinnen. Nur

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