Auge des Mondes
ihrer Griffe kam sie ein Stück tiefer, bis Mina schließlich das Gefühl hatte, ein liebevoll durchgewalkter Teig zu sein, so weich fühlte sie sich. Ein Teig allerdings, der von Kopf bis Fuß nach Rosenöl duftete.
»Schlaf ein bisschen!«, hörte sie Nebet schließlich sagen. »Ich hole dich, wenn das Essen fertig ist.«
Die Träume kamen schnell, und sie waren hell und leicht: Bastet sprang um sie herum, in einem Garten, schöner und größer als der ihre, und sie nahm sich vor, so bald wie möglich Anchor aufzusuchen und ihm zu sagen, dass er das Modell für Chai noch einmal gründlich überarbeiten müsse. Mein Liebster wird sich freuen. Dieser Gedanke durchdrang sie, machte sie glücklich und hinterließ ein kleines Lächeln auf ihrem Gesicht.
Irgendwann spürte sie warme Lippen auf ihrem Nacken. Fest waren sie, zärtlich und verlangend zugleich. So lange hatte sie ohne Liebe gelebt! Mina spürte den Mangel wie einen alten, ziehenden Schmerz, der langsam aus ihrem Körper wich.
»Du bist zurückgekommen«, flüsterte sie. »Endlich! Jetzt wird alles gut.«
Jemand packte sie, drehte sie um, zog sie dann eng an sich.
»Hör auf, an gestern zu denken! Wir leben jetzt, Mina. Jetzt!«
Mina wusste, dass nur er es sein konnte, noch bevor sie seinen Mund auf ihrem spürte und seinen Arm, der ihre Brüste leicht berührte. Ein Zittern ging durch ihren Körper, bevor ihre Lippen sich öffneten und sie seinen Kuss erwiderte.
»Wir könnten uns dagegen wehren«, sagte Numi, als sie sich voneinander gelöst hatten und sich nun mit neuen, mit anderen Augen betrachteten. »Aber ich fürchte, es würde nichts nützen.«
»Aber ich weiß doch nichts von dir …«
Er umschlang sie erneut, behutsamer nun.
»Dann wird es allmählich Zeit, das zu ändern«, sagte er. »Meinst du nicht auch?«
Er küsste sie wieder. Wäre es nach Mina gegangen, sie hätten stundenlang so weitermachen können.
»Wo wohnst du eigentlich?«, fragte er. »Ich finde, wir sollten uns nicht nur auf dem Markt begegnen.«
Sie beschrieb es ihm.
Beim Essen war sie so aufgeregt, dass sie kaum etwas hinunterbrachte. Das persische Gewand, in dem sie steckte, floss leicht an ihr hinab, ein feiner, zart gewebter Stoff, dessen warmer Goldton ihr Haar noch dunkler wirken ließ. Dabei schmeckte alles köstlich, was vor ihnen aufgetischt worden war: das kross gebratene Huhn, in mundgerechte Stücke geschnitten, die verschiedenen Töpfchen mit Linsen, Bohnen und Kichererbsen, die nach fremdländischen Gewürzen dufteten. Sogar der verdünnte Wein, aus dem sie sich sonst wenig machte, rann kühl und angenehm durch ihre Kehle.
Das Mädchen saß zwischen ihnen, aß ruhig und konzentriert, sagte wenig. Ab und an ließ sie ihren Blick auf Mina ruhen, einen freundlichen, fragenden Blick, der nichts von dem verriet, was sie dachte. Sie musste doch spüren, was zwischen ihrem Vater und der Fremden vorging!
Mina konnte sich nicht dagegen wehren, dass ihr der Name Newa wieder in den Sinn kam.
»Ich muss nach Hause«, sagte sie schließlich und erhob sich. »Man wird mich schon vermissen.«
»Soll ich dich nicht lieber begleiten, Mina?«, fragte Numi zärtlich. »Dein Kleid lasse ich dir bringen, sobald es trocken ist.«
Das Mädchen erstarrte. Mit einem Mal war jede Freundlichkeit aus ihren Zügen gewichen, die schlanken Arme, die sie abwehrend vor sich hielt, wirkten steif wie Stöcke.
»Das musst du nicht.« Mina ließ die Kleine nicht aus den Augen. Newas Tochter kämpft für ihre Mutter, dachte sie. Hielt sie sie womöglich für eine Schlampe aus Kemet, die sich nur aus Berechnung an den wohlhabenden Fremden heranmachte?
»Dann sehen wir uns später. Du hörst von mir.«
Mina nickte, die Tochter noch immer fest im Blick. Sie war froh, dass Numi keinerlei Anstalten machte, ihr zur Türe zu folgen, sondern nur mit einem warmen Lächeln in den Augen von ihr Abschied nahm. Sie ging sehr aufrecht, sich jeden Schritts bewusst. Ob sie dieses Haus jemals wieder betreten würde?
Sie war schon halb auf der Straße, da riss plötzlich jemand an ihrem Arm. Als sie sich umwandte und in das aufgeregte Mädchengesicht schaute, waren die Himmelsaugen größer und dunkler, als sie sie bisher gesehen hatte.
» Du bist Mina?«, fragte sie gepresst, wie in größter Not. »Mina, die Geschichtenerzählerin?«
Mina nickte. Was würde als Nächstes kommen?
»Dann muss ich dringend mit dir sprechen - und zwar allein!«
»Wieso nicht gleich jetzt?«, fragte Mina. »Wir
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