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Auge des Mondes

Titel: Auge des Mondes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Riebe
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Dank, dass Ihr mich empfangen habt …«
    Ihr Blick flog hilfesuchend zu den Lotoskapitellen der doppelten Säulenreihe. Wie sollte sie ihn bloß anreden? Der Titel Einzig-Einer stand nur dem Pharao zu. Und doch redete und benahm sich dieser Aryandes aus dem fernen Persien, als sei er und kein anderer der Herrscher Kemets und der Stuhl, auf dem er saß, eigentlich ein Thron.
    Endlich kam Mina der rettende Einfall. »... Herr!«, vollendete sie ihren Satz.
    Er nickte knapp. Wenigstens das schien sie glücklicherweise getroffen zu haben.
    »Ich bin vor Euch erschienen als Fürsprecherin meines Neffen Ameni.« Mina versuchte, gleichmäßig zu atmen, obwohl ihr Herz hart gegen die Rippen schlug. Was, wenn sie nicht die richtigen Worte fand? Wenn ihr Auftritt vor dem Satrapen alles nur noch schlimmer machte? Sie war so aufgeregt, dass es in ihrer linken Seite heftig zu stechen begann. »Er ist jung und heißblütig und stellt manchmal leider sehr dumme Sachen an. Aber ein schlechter Kerl ist er nicht. Ich kann das mit Gewissheit sagen, denn ich habe Ameni unter meinen Augen aufwachsen sehen. Hinterlist oder gar Gewalttätigkeit sind seinem Wesen fremd. Dafür verbürge ich mich.«
    Keinerlei Reaktion. Sie hätte ebenso gut zu einer Stele aus Granit sprechen können.
    »Darf ich mich bei Euch in aller Form für sein Verhalten entschuldigen? Natürlich im Namen der ganzen Familie. Sein Vater Rahotep ist ein äußerst angesehener Kaufmann …«
    Was plapperte sie da? Sie hätte sich auf die Zunge beißen mögen. Tep hatte großen Ärger mit einem persischen Konkurrenten - und jetzt brachte sie ausgerechnet ihn vor dem persischen Statthalter ins Spiel! Auf Minas Stirn bildeten sich Schweißtröpfchen. Sie glühte unter der formellen Perücke und den Schichten von Malachit und Bleiglanz, die sie seit Sonnenaufgang sorgsam aufgelegt hatte. Aber nachdem sie schon so begonnen hatte, musste sie auch so fortfahren.
    »… der natürlich für jeden Schaden geradestehen wird, den sein Sohn angerichtet hat.«
    Aryandes blieb unbewegt. Ein Reptil, dachte Mina, das sein Opfer fixiert, bevor es blitzschnell zuschlägt. Wann wird es bei mir so weit sein?
    In ihrer wachsenden Verzweiflung wickelte sie Numis Goldmünze aus dem Saum. Mit ein paar schäbigen Kupferdeben hier anzukommen hatte sie nicht gewagt.
    »Hier, Herr!« Sie streckte ihm das Goldstück entgegen, und zu ihrem Erstaunen griff er sofort danach. »Als kleines Zeichen unseres guten Willens und unserer tiefen Zerknirschung.«
    Für ein paar Augenblicke wog Aryandes die Münze in der Hand, dann warf er sie in die Luft. Der kleine Nubier mit den perfekten Gliedmaßen, der schräg hinter ihm stand, fing sie spielerisch auf und ließ sie blitzschnell in seinem Schurz verschwinden. Mina war so perplex über diese lässige Selbstverständlichkeit, dass es ihr die Sprache verschlug.
    »Uns ist zu Ohren gekommen, dass du viele Geschichten kennst«, sagte der Satrap nach einer schier endlosen Weile. »Ist das richtig?«
    »Ich erzähle auf dem Markt Märchen. Schon seit einigen Jahren.« Jetzt wog sie jedes Wort vorsichtig ab. »Manchmal können es auch Fabeln oder Geschichten sein. Ich bemühe mich um Abwechslung, müsst Ihr wissen.«
    »Märchen, Fabeln und Geschichten, in denen bisweilen Katzen eine Rolle spielen?«
    Worauf wollte er hinaus? Minas Wachsamkeit verstärkte sich.
    »Gelegentlich durchaus. Ja, natürlich. Wir leben in Per-Bastet, und die Leute hier lieben …«
    »Die Leute hier interessieren uns nicht«, unterbrach er sie schroff. »Dann weißt du sicherlich auch einiges über Bastet?«
    Minas Herz schien für einen Lidschlag stillzustehen. Meine Kleine kann er damit nicht meinen, sagte sie sich dann und bemühte sich, einigermaßen ruhig weiterzuatmen. So viele Zufälle gibt es nicht!
    »Die Göttin Bastet, Herr?«, fragte sie vorsichtig.
    »Wen sonst?«, raunzte Aryandes zurück.
    »Nun, sie, die Mondäugige …«
    »Nein, nicht schon wieder dieses Zeug, das ist uns bereits zur Genüge bekannt! Wir möchten heute etwas anderes von dir wissen, etwas, womit diese kahl geschorenen Priester« - seine Stimme hätte kaum verächtlicher sein können - »niemals herausrücken würden. Wir erwarten eine ehrliche Antwort von dir.« Sein Blick wurde stechend.
    »Fragt, Herr! Ihr werdet nichts als die reine Wahrheit von mir zu hören bekommen.«
    »Wie kann es angehen, dass man hierzulande zu Katzen betet? Eine Löwin meinetwegen, wenn es denn schon ausgerechnet ein Tier sein

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